piwik no script img

Serbiens Radikale an der Macht

■ Unter der neuen Regierung in Belgrad werden sich zahlreiche Konflikte im brüchigen jugoslawischen Bundesstaat verschärfen

Belgrad (taz) – Ein halbes Jahr nach den Parlamentswahlen ist für viele in Serbien ein Alptraum wahr geworden: Der Ultranationalist und Vorsitzender der „Radikalen Partei Serbiens“ (SRS), Vojislav Šešelj, ist an die Macht gekommen. Seit Dienstag ist er stellvertretender Ministerpräsident. Šešeljs Radikale und die „Sozialistische Partei Serbiens“ von Slobodan Milošević stellen je 15 von 30 Ministern in der neuen Regierung.

Milošević, der sich auf den Stuhl des Präsidenten der jugoslawischen Föderation gerettet hat, verfügt von den 250 Abgeordneten im serbischen Parlament nur noch über 110. Seine Anhänger mußten sich entweder mit der Erneuerungsbewegung von Vuk Drašković, die 45 Abgeordnete hat, oder mit den 85 Radikalen verbünden, um eine Koalition zu bilden. Der gemäßigte, aber unberechenbare Monarchist Drascović gibt an, ein Koalitionsangebot abgelehnt zu haben, weil die Regierung keine Demokratisierung anstrebe.

Šešeljs Anhänger, die jetzt ministrabel geworden sind, bejubelten noch vor kurzem ihren Führer, als er mit seiner Pistole in der Öffentlichkeit fuchtelnd Studenten bedrohte, seine politischen Gegner von seinen Leibwächtern verprügeln ließ und dann vor Gericht behauptete, sie seien auf einer Bananenschale ausgerutscht. Kroaten drohte er, „mit einem verrosteten Löffel ihre Augen auszustechen“. Er kündigte an, die „serbischen Territorien“ in Bosnien zurückerobern und „einige hunderttausend Albaner“ aus der Provinz Kosovo zu vertreiben.

Für die „Liga der Sozialdemokraten der Wojwodina“ bedeutet die radikal-sozialistische Koalitionsregierung „das Ende Serbiens in jeder Hinsicht“. Führende Politiker der ungarischen Minderheit, die, anders als die Albaner, am politischen Leben Serbiens teilnimmt, sprechen von einer „endgültigen Katastrophe“, obwohl auch einem ihrer Vertreter ein Ministersessel angeboten war.

Mit dem Segen von Milošević hat sich Šešelj jetzt als zweitwichtigster Machtfaktor in Serbien etabliert. Zahlreiche Konflikte in der brüchigen jugoslawischen Föderation werden damit verschärft. Die unabhängigen Medien werden es noch schwerer haben als bisher. Šešeljs Adlatus, Aleksandar Vucić, ist neuer serbischer Informationsminister geworden. Die Regierung der zweiten jugoslawischen Teilrepublik, Montenegro, macht keinen Hehl daraus, daß sie Šešelj für einen gefährlichen Nationalisten hält.

Für die Kosovo-Albaner ist es schwer vorstellbar, sich mit dem Chauvinisten Šešelj an den Verhandlungstisch zu setzen. „Mit Šešelj in der serbischen Regierung wird eine mögliche politische Lösung im Kosovo massiv erschwert“, erklärte Mahmut Bakali, ein einflußreicher, ehemals kommunistischer Funktionär der Kosovo-Albaner.

Die serbische Regierung hat jetzt ein gutes Alibi, die Forderungen der Albaner und eine internationale Vermittlung im Kosovo abzuweisen. Šešelj wird als zweiter Mann in Belgrad jede demokratische Lösung ablehnen und Milošević seine Hände in Unschuld waschen. Gegenüber dem Westen wird er demonstrieren, daß man sich weiterin auf ihn verlassen muß, sonst kommt es mit Šešelj noch viel schlimmer. Andrej Ivanji

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen