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„Mal mit Ausländern ins Gespräch kommen“

Berliner PolizeischülerInnen sollen in Planspielen und Gesprächen über ihren Umgang mit ethnischen Minderheiten nachdenken. „Ganz interessant“ finden sie dieses EU-Projekt. In Rotterdam und London ist man aber schon weiter  ■ Von Sabine am Orde

„Wir werden maximal 40.000 der deutschen Flüchtlinge aufnehmen“, sagt Michael Richter*, der Regierungschef des kleinen Eilandes. „Sie bekommen ein Jahr lang monatlich 800 Mark – nicht in Bargeld, sondern in Wertmarken. Danach wird die Unterstützung jährlich um 200 Mark gekürzt, schließlich sollen die Flüchtlinge arbeiten und sich integrieren.“

Kaum hat der Regierungschef sein Programm vorgestellt, schießt ein Oppositionspolitiker dazwischen: „Wie soll denn eine Integration funktionieren bei 14,2 Prozent Arbeitslosen?“ fragt Peter Weber in scharfem Ton. Weber ist einer der Wortführer der Insulanischen Volksunion, kurz IVU. „Die Flüchtlinge bekommen also Arbeit, die Insulaner sind arbeitslos“, hetzt er in der Bürgerversammlung der InselbewohnerInnen gegen die Flüchtlinge. „Und wenn sie straffällig werden?“ – „Dann werden sie abgeschoben“, räumt der Regierungschef ein. „Wohin denn?“ fragt eine Flüchtlingsfrau leise ihre Nachbarin. „Ich denke, in Deutschland kann man nicht mehr leben.“ Laut sagt sie nichts.

Glücklicherweise gibt es die Insel nicht wirklich, auch ist Deutschland von keiner Naturkatastrophe zerstört, kein Menschenleben von dem Gekungel zwischen Weber und Richter abhängig. Die beiden gehören zu einer Klasse von insgesamt sechzehn Männern und neun Frauen zwischen 17 und 25, die seit einem guten halben Jahr zu PolizistInnen ausgebildet werden.

In beige-grüner Uniform sitzen sie an kleinen Schultischen in ihrem Klassenraum in der Landespolizeischule draußen in Ruhleben. Es ist kurz nach eins. Seit acht Uhr leben die PolizeischülerInnen auf ihrer Insel. Eine Regierung gibt es hier, eine rechtsradikale Opposition, MedienvertreterInnen, eine Solidaritätsgruppe und Flüchtlinge. Und wie im wirklichen Leben kommen letztere in der Bürgerversammlung und den Medien kaum zu Wort.

Das Rollenspiel gehört zu einem viertägigen Seminar, das seit November in allen Klassen der Polizeischule durchgeführt wird. Zwei Tage jetzt, zwei weitere im Herbst. Die Seminare sind Teil eines Modellprojekts zur „Polizeiarbeit in der multikulturellen Gesellschaft“, das von der Europäischen Union finanziert wird und an dem 11 europäische Städte teilnehmen.

„Heute sollen sie in diese Rollen schlüpfen, auch Vorurteile aussprechen“, sagt Ali Fathi vom Büro gegen ethnische Diskriminierungen, der gemeinsam mit Tülay Cinar vom Verein Trainingsoffensive das Seminar leitet. Morgen will Fathi in Kurzreferaten und Gesprächen an Fragen und Themen anknüpfen, die heute aufkommen. Er wird den jungen Uniformierten dann aus seinem Leben als anerkannter iranischer Flüchtling erzählen, der seit Mitte der achtziger Jahre in Berlin lebt, hier studiert und promoviert hat und nicht Deutscher werden kann, weil es dieses verzwickte deutsch-iranische Abkommen aus dem Jahr 1929 gibt. Er wird die Mißhandlung eines Algeriers durch Berliner Polizisten schildern, die ihn grundlos verdächtigten, ein Autodieb zu sein. „Ich werde ihnen zunächst nicht sagen, was ihre Kollegen gemacht haben, sondern sie fragen, wie sie reagieren würden“, sagt Fathi. Später wird er ihnen auch von dem umgedrehten Arm und den Tritten berichten und auch dem Protest von amnesty international. So will er anregen, daß die SchülerInnen über Diskriminierung und die Schwierigkeiten interkultureller Kommunikation nachdenken.

Hartmut Hoffmann, der Politische Bildung in der Klasse lehrt, wird in seinem Unterricht immer wieder auch mit rassistischen Äußerungen konfrontiert. „Wenn wir über das Asylrecht reden, kommen immer Vorurteile“, sagt der Hauptkommissar. „Das muß man emotional ansprechen und dann Fakten nachschieben.“ Ihm ist klar, daß ein Seminar „nur ein kleiner Schritt“ sein kann: „Zu glauben, das reicht, ist blauäugig.“

Ali Fathi hofft, das solche Seminare fest in die Polizeiausbildung integriert werden. „Das ist seit langem eine Forderung der Migrantenorganisationen“, sagt er. Bislang finden Fortbildungen zum Thema „Ausländer und Polizei“ statt, seit 1994 haben etwa 2.200 PolizistInnen daran teilgenommen. Andersherum heißt das: Mehr als 17.000 Berliner PolizistInnen haben noch nie ein solches Seminar besucht. „In Rotterdam und London ist man schon viel weiter“, weiß Fathi. Die beiden Städte gehören auch zu dem EU-Projekt.

Viele der SchülerInnen würden auch freiwillig an einem Training teilnehmen – eine willkommene Alternative zum Frontalunterricht. Dennoch: In der Klasse reden immer dieselben. Zwei Schülerinnen schicken Briefchen hin und her, einer linst in die Zeitung auf dem Tisch, ein weiterer schaut der Parallelklasse im Hof bei ihren Übungen zu. „Ganz interessant“, urteilen die meisten beim Feedback am Ende des ersten Seminartages – nicht gerade ein Synonym für Begeisterung. „Die hätten doch auch gleich sagen können, daß sie mit uns über die Situation zwischen Türken und Deutschen reden wollen“, sagt Frank Max. Nur zwei der zukünftigen PolizistInnen üben am Nachmittag zaghaft grundsätzliche Kritik.

„Es ist gut, mal mit Ausländern direkt ins Gespräch zu kommen“, sagt Stephan Klaus. Einige wünschen sich auch VertreterInnen anderer Minderheiten ins Seminar: „Vietnamesen zum Beispiel, mit denen haben wir doch später auch zu tun.“ – „Noch besser wär es, auch ausländische Jugendliche mit einzubeziehen“, findet Peter Weber, der sich „in echt“ als alles andere als rechtsradikal versteht.

Daß die Rechtsradikalen in ihrer Bürgerversammlung das große Wort führen konnten, schockt die Polizei-Azubis aber nicht. „Das ist doch das, worüber draußen geredet wird“, sagt Ralf Bleis, „das kennt man doch.“

„Die Argumente, die gegen eine Sache sprechen, sind doch immer einfacher zu benennen“, tröstet sich Marianne Dolst, im Planspiel eine Flüchtlingsfrau. „Mit Humanität und kultureller Bereicherung sind wir doch gar nicht zu Wort gekommen.“ Dennoch setzt sich die rechtsradikale IVU auf dem fiktiven Eiland nicht gänzlich durch: Die Bürgerversammlung nimmt am Nachmittag den Vorschlag der Regierung an: 40.000 Flüchtlinge dürfen ins Land und bleiben, wenn sie Arbeit finden und keine Straftaten begehen.

*Namen der SchülerInnen sind von der Redaktion geändert

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