: Klassischer Fall von Selbstamnestie
■ Im Berliner Dopingprozeß beantragt die Verteidigung die Einstellung des Verfahrens aufgrund einer Amnestie aus der Ära Krenz
Berlin (taz) – Geradezu inständig flehte Richter Hans-Georg Bräutigam die sechs Angeklagten im Berliner Dopingprozeß an, doch bitte im Verlauf des Verfahrens mit eigenen Stellungnahmen zur Wahrheitsfindung beizutragen. Dazu kam es aber nicht, denn auch gestern sorgte die Verteidigung dafür, daß die Sache nach drei Prozeßtagen noch nicht sonderlich vorangekommen ist.
Diesmal war es Suzanne Kossack, Anwältin des Sportmediziners Dieter Binus, die den Fortgang bremste, indem sie einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens stellte. Begründet wurde dieser mit zwei Amnestiegesetzen der DDR, das letzte vom 6. Dezember 1989. Pikanterweise als quasi letzte Amtshandlung vom Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz verabschiedet, der selbst seit 1983 dem DDR- Sport vorstand. Kommt der Antrag durch, ein klassischer Fall von Selbstamnestie.
Erfaßt wurden 1989 strafbare Handlungen, die mit nicht mehr als drei Jahren Haft geahndet worden waren, außerdem, so heißt es im Antrag von Frau Kossack, „Ermittlungsverfahren sowie Personen, gegen die lediglich der Verdacht bestand, eine Straftat vor dem 6.12. 1989 begangen zu haben. Im Falle der Mauerschützen hatte der Bundesgerichtshof entschieden, daß diese von der Amnestie ausgenommen seien, weil sie in der DDR „außerhalb jeder Verfolgung standen“. Für die den Trainern und Medizinern zur Last gelegte Körperverletzung durch Verabreichung gesundheitsschädlicher Dopingmittel trifft dies nach Meinung der Verteidigung nicht zu. „Da keiner der Betroffenen Strafanzeige erstattet hatte und keiner der Betroffenen sich geschädigt fühlte, ist nicht auszuschließen, daß, wenn den Ermittlungsorganen die Sachverhalte bekannt geworden wären, Ermittlungsverfahren eingeleitet worden wären“, heißt es durchaus zynisch anmutend in der Begründung. Am Freitag wird sich erweisen, ob Richter Bräutigam dieser Interpretation folgen mag. Matti
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