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Hau den Schröder

In seiner Regierungserklärung zum Euro ärgert sich der Kanzler über den abwesenden SPD-Kanzlerkandidaten. Lafontaine verteidigt dessen Euro-Skepsis  ■ Aus Bonn Markus Franz

Die Abgeordneten im Bundestag trauten ihren Ohren nicht bei den Eingangsworten des prominenten Redners. „Die Währungsunion ist eine historische Chance – für unser Land und für ganz Europa. Sie ist eine Chance für die politische Einigung Europas in Frieden und Freiheit.“ Der Redner war...? Der Parteichef der SPD, Oskar Lafontaine. „Wie Kohl“, flüsterten einige amüsiert.

Wie ein Parteifreund des Bundeskanzlers fuhr Lafontaine fort. Er würdigte Adenauer, lobte „gerade am heutigen Tag“ den früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher und vergaß auch nicht, „die Verdienste“ des Kanzlers um die deutsche Einheit und die europäische Einigung herauszuheben. Dann hatte es sich aber mit den Gemeinsamkeiten.

Zuvor hatte Helmut Kohl versucht, die SPD als europafeindlich zu diskreditieren, wo es nur ging. Aus den Reihen der Opposition, sagte der Kanzler, würden Stimmen deutlich, daß „man in Wirklichkeit dieses Zukunftsprojekt nicht begreift oder nicht begreifen will“. Mit „billigem Populismus und Angstmacherei“, so Kohl weiter, lasse sich kein Vertrauen erwerben. Unterbrochen von „Stoiber“-Rufen aus den Reihen der Opposition – der bayerische Ministerpräsident gilt als Euro-Gegner – zitierte Kohl das Schröder-Wort von der „kränkelnden Frühgeburt“ der Währungsunion. Wie im Kasperletheater, wenn der böse Räuber den lieben Kasperl versohlt, schallten darauf „Pfui“-Rufe von den Bänken der Koalition. Die Inszenierung der Union im Bundestag hieß: Hau den Schröder.

Lafontaine verteidigte ausdrücklich den niedersächsischen Ministerpräsidenten, der von Zwischenrufern der Union als Redner gefordert wurde. „Ich halte Gerhard Schröders Betrachtungsweise für richtig, sich Gedanken über die Folgen der Währungsunion zu machen“, sagte Lafontaine, als habe Schröder tatsächlich nur konstruktive Gedankenanstöße für die Zukunft der Währungsunion gemacht und nicht auch Ängste geschürt.

Lafontaine selbst, der in den vergangenen Jahren als uneingeschränkter Verfechter der Währungsunion auftrat, vertritt dagegen ein rein vorwärtsgewandtes Anliegen. Sein Ansatz lautet: Wie bekommen wir europaweit mehr Wachstum und Arbeitsplätze hin, nachdem durch die Währungsunion das Korrektiv der Wechselkurse hinfällig geworden ist? Die Europäische Währungsunion werde zu einer Verschärfung des innereuropäischen Wettbewerbs führen. Wenn die Wechselkursrisiken entfielen und die Vergleichbarkeit der Produktionskosten eine bisher nie gekannte Qualität erreichten, werde der Wettbewerb um Arbeitsplätze und Kapital noch härter als bisher.

„Was ersetzt die Rolle des Stoßdämpfers der Wechselkurse?“ fragte Lafontaine. Ohne ein Korrektiv werde es künftig zu erheblichen Transferleistungen der wirtschaftsstarken Länder kommen müssen. Um das zu vermeiden, sei eine internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik unabdingbar. Insbesondere eine europäisch abgestimmte Steuerpolitik sei erforderlich, um das Steuerdumping, das zu Lasten aller europäischen Arbeitnehmer gehe, zu beenden. Das Credo der Regierung, so Lafontaine, „Beschäftigungspolitik machen wir zu Hause“, habe in die Zeit der deutschen Kleinstaaterei früherer Jahrhunderte gepaßt. Die weltwirtschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts könne man damit nicht bestehen.

CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble schien beeindruckt. „Es ist in Ordnung, daß Sie Ihre Bedenken anbringen“, sagte er an Oskar Lafontaine gewandt. „Aber man muß nicht nur die kritischen Einwände prüfen, sondern das Positive herausstellen.“ Dann lobte er den Kanzler für dessen historische Verdienste, so daß dem vor Rührung die Augen feucht wurden. Ungerührt sagte dagegen Lafontaine zu Kohl: „Das ökonomische Management des Euro möchte ich Ihnen im Interesse der Menschen nicht überlassen.“

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