: Das Gefühl, Außenseiter zu sein
Gender Studies an der Berliner Humboldt-Uni legen Wert auf Interdisziplinarität. Die Geschlechterstudien sind vom Engagement der Mitglieder aller Fachbereiche abhängig. Eine Bilanz des ersten Semesters ■ von Ulrike Baureithel
Mir gefällt, daß es ein neues Studienfach ist, denn ich glaube, daß sich hier mehr bewegen läßt als anderswo.“ Lebhafte Zustimmung am engen WG-Tisch in Berlin-Friedrichshain. „Für mich war wichtig“, bestätigt Julia, „daß das Ganze neu ist und man die Struktur noch mitgestalten kann.“ Das „Ganze“ meint den im vergangenen Wintersemester an der Humboldt-Universität (HUB) eingerichteten Studiengang zu Gender Studies, den Patrizia und Julia, beide Mitte zwanzig, zusammen mit über 350 weiteren Hauptfächlern belegt haben.
Die Vorstellung, das Studium selbst mitgestalten zu können, dürfte ein Grund sein für die große, die Initiatorinnen völlig überraschende Resonanz. Denn eine sichere berufliche Zukunft steht mit der wissenschaftlichen Frage nach dem Geschlecht kaum in Aussicht.
Einen weiteren Grund für die Attraktivität des Studienfaches nennt die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun, die bei seiner Einrichtung federführend war: die Interdisziplinarität. Das Konzept sieht vor, die Geschlechterforschung nicht zu „ghettoisieren“ in einer speziellen Fachdisziplin, sondern sie soll einen Einblick geben in über zwanzig verschiedene Disziplinen – von den ,klassischen‘ geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern über Jura bis hin zur Medizin. Als großer Erfolg muß es schon gewertet werden, daß sich so viele Fachbereiche bereit fanden, überhaupt an dem Projekt mitzuwirken.
Doch der hehre Anspruch, der bei der feierlichen Eröffnung des Studienganges wie ein wissenschaftliches Sesam, öffne dich! wirkte, ist nach einem Semester – allerdings streikgebeutelter – Studienrealität in den profanen Niederungen der Alma Mater zu einem echten und, wie von Braun meint, wahrscheinlich unlösbaren Problem geworden. „Am Anfang“, erzählt Julia, „fand ich unheimlich spannend, daß ich die Auswahl hatte. Dann merkte ich, wie schwierig es war, da überhaupt reinzukommen, denn es bedeutet einen tierischen Aufwand, sich in die einzelnen Fächer wirklich zu vertiefen. Die Jura-Studis brauchen ja auch einige Semester, um juristisches Denken zu lernen, und wir sollen uns das so nebenbei aneignen.“
Auch Sybille findet es schwierig, daß „wir alle ein völlig unterschiedliches Niveau haben“, zumal die Studierenden hinsichtlich ihres zweiten Hauptfaches von völlig verschiedenen Voraussetzungen ausgehen. Die Ringvorlesung, die die Einführung in die Disziplinen organisieren sollte, habe, so heißt es übereinstimmend, „überhaupt nicht funktioniert“, was Oliver resümieren läßt: „Es ist eben beides nicht wirklich organisiert, weder der Kanon noch die Einführung in die Fächer.“
Unterschiedliche Vorbildung, völlig konträre Theorien und Fachmethodiken und gleichzeitig der Anspruch, „kritische Wissenschaft“ betreiben zu wollen: Die Studierenden fühlen sich zu Recht überfordert. Und diese Überforderung fördert Unterlegenheitsgefühle, zumal sie den Eindruck haben, daß der Studiengang von manchen Lehrenden nicht so ernst genommen wird. „Einige Veranstaltungen werden zwar im Rahmen der Gender Studies angeboten“, kritisiert die zwanzigjährige Jasmin, „aber der Gender-Aspekt wird nur hinten aufgepappt. Es gab den ,allgemeinen‘ Stoff und am Ende des Semesters den ,besonderen‘ Gender-Aspekt.“
„Ich habe den Eindruck“, ergänzt Patrizia, „daß die Interdisziplinarität auch als Druckmittel gegen die Gender Studies eingesetzt wird, denn niemand hat mit diesem Andrang gerechnet. Jetzt heißt es, wir sind überlastet, also müssen die Gender Studies wieder raus. Das führt dazu, daß man sich überall als Besucherin fühlt.“ Auf dieses Problem angesprochen, sieht auch von Braun keine Lösung, denn von den Studierenden sei kaum zu erwarten, sich den Kanon aller Disziplinen gleichermaßen anzueignen. Dem Einwand, frau wolle nicht nur als „feministische Meckerliese“ in der Ecke stehen, hält sie den wissenschaftskritischen Anspruch der Gender Studies entgegen: „Das Gefühl, Außenseiter zu sein, muß man ertragen lernen.“
Überfordert fühlen sich indessen nicht nur die Studierenden, sondern auch die Lehrenden. Angesichts der mit der Strukturreform einhergehenden Kürzungen an den Hochschulen, von denen auch die HUB nicht verschont bleibt, droht mancher ohnehin überlaufene Fachbereich – wie beispielsweise die Germanisten –, sich aus den Gender Studies zurückzuziehen. Das mag als Druckmittel gegen die Univerwaltung sinnvoll erscheinen, wirkt jedoch auch kontraproduktiv, weil es den Studiengang gefährdet, für den die Mitarbeit möglichst vieler Fachbereiche überlebensnotwendig ist.
Diese Akzeptanz ist das symbolische Standbein der Gender Studies, die über keinerlei eigene Mittel verfügen. Auf die Frage, wann denn ein Studienfach ernstgenommen würde, kommt bei den Studierenden wie aus der Pistole geschossen: „wenn es Geld und eine eigene Fakultät hat“. Doch eben dies ist mit dem ursprünglichen Konzept nicht vereinbar und in der derzeitigen Lage auch kaum zu realisieren. Dankbar ist man seitens der Initiatorinnen schon über die mögliche Mittelzuweisung für zehn Lehraufträge im kommenden Wintersemester. „In der Frage des Geldes“, heißt es bei den Studierenden, „sind die Initiatorinnen sehr, sehr vorsichtig.“
Ein weiterer Widerspruch des Studiengangs besteht darin, einerseits erklärtermaßen Wissenschaftskritik betreiben zu wollen und andererseits dem Zwang zur Kanonisierung. Eine schriftliche Prüfung in Gender Studies – wie am Ende des Semesters im Fach Soziologie – mag pragmatische Gründe haben, doch „wo Prüfungen abgehalten werden“, meint Oliver, ist das „klar ein Widerspruch, da wird positives Wissen abgefragt.“
An diesem Punkt steht auch das Verhältnis zwischen Studium und ,Bewegung‘ zur Disposition: „Die Frage ist, was man will. Wenn man den Studiengang politisch begreift, was die meisten tun, dann fragt sich, wie sich das vermittelt mit dem, was draußen passiert.“
Politisch in diesem Sinne ist gewiß auch die Tatsache, daß dreißig Prozent der Gender-Studierenden Männer sind. Gleichzeitig kolportiert man am WG- Tisch das Phänomen, daß im Laufe des Semesters die Männer einfach „abgetaucht“ seien. Die unterschwellige Angst, sich als Minderheit unter lauter selbstbewußten Frauen zu bewegen und der Ärger, „ständig über Feminismus reden zu müssen“, hat dazu geführt, daß mittlerweile nur noch wenig männliche ,Orchideen‘ die Seminare beglücken, und denen scheint es wie Oliver, der Men's Studies machen will, wirklich ernst zu sein.
Über die Motivation der Männer ist man sich uneins: „Ein Freund von mir glaubte“, berichtet Oliver, „es werden ganz viele Männer sein, denn was kann ihnen Besseres passieren, als in der Auseinandersetzung mit ihrer Freundin zu sagen, ich studiere Gender Studies.“ Jasmin jedenfalls hat nichts gegen männerfreie Seminare, „die Atomosphäre ist einfach harmonischer.“
Ob sich die männlichen Studierenden „allmählich umgewöhnen“ werden, wie von Braun hofft, bleibt ebenso abzuwarten wie die Entwicklung des gesamten Studienganges. Wenn der Andrang anhält, wird für das Wintersemester eine Zulassungsbeschränkung erwogen. Die Streikerfahrung hat den Enthusiasmus vieler Studierenden etwas gedämpft und ihre Wünsche auf ein bescheidenes Minimum heruntergeschraubt: Einen Ort des Austauschs wünschen sich alle ganz dringend und vielleicht eine Bibliothek, die Gender-Studies-Literatur sammelt, „damit das ständige Gerenne aufhört.“
Versprechen kann von Braun nichts. Aber geplant ist immerhin, die Systematik der Unibibliothek auf die Geschlechterstudien auszuweiten. Auch in der kritischen Wissenschaft geht eben alles seinen bürokratischen Gang.
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