piwik no script img

Die Spur ist abgearbeitet, und basta

Lübecker Brandanschlag: Halbherzige Ermittlungen gegen vier Jugendliche  ■ Von Elke Spanner

Er sehe „keine Wende“. Die Beschwichtigung der Lübecker Staatsanwaltschaft folgt der Nachricht, daß sie wegen des Brandanschlages auf die Flüchtlingsunterkunft am 18. Januar 1996 an der Lübecker Hafenstraße Ermittlungen gegen vier junge Männer aus Grevesmühlen eingeleitet habe, auf dem Fuße. Sprecher Klaus-Dieter Schultz blieb auch gestern seiner Linie treu, und die lautet seit zwei Jahren: „Die Spur ist abgearbeitet“. Denn die Angaben von Maik W., einem der Grevesmühlener Jugendlichen, seien widersprüchlich.

„Klein Adolf“, wie Maik W. von seinen Freunden genannt wird, hat zwar vor fünf Wochen gegenüber der Staatsanwaltschaft gestanden, das Feuer gelegt zu haben, durch das zehn Menschen starben. Drei Tage später habe er aber widerrufen. Daß er sich dazu bekennt, ist nicht das erste Mal. Doch während das vermeintliche Geständnis, das der Sanitäter Jens L. in der Brandnacht von dem Libanesen Safwan Eid gehört haben will, zu dessen Inhaftierung und schließlich seinem Prozeß geführt hat, wurde den Bekenntnissen des Grevesmühleners bislang kaum Bedeutung zugemessen. Bereits zwei Wochen vor dem tödlichen Brand hatte Maik W. vor einem Freund geprahlt, daß er in Lübeck etwas anstecken werde. Der berichtete davon der Polizei. Das ist aktenkundig. Dennoch: „Die Spur ist abgearbeitet“.

Im Dezember 1996 dann ging erneut eine Selbstbezichtigung in die Polizeiakten ein. Damals war Maik W. im mecklenburgischen Güstrow beim Ladendiebstahl erwischt worden. Auf die Drohung des Verkäufers, daß er die Polizei rufen werde, hatte er gekontert: „Die kann mir gar nichts. Ich war sogar bei dem Brandanschlag in Lübeck dabei“. Der Verkäufer informierte die Polizei, die leitete den Vorfall an die Lübecker Staatsanwaltschaft weiter. Und die stellte die Ermittlungen ein. „Die Spur ist abgearbeitet.“

Diese Aussage fußt darauf, daß die Grevesmühlener ein Alibi für den mutmaßlichen Tatzeitpunkt gehabt haben sollen. Das Feuer soll gegen 3.30 Uhr ausgebrochen sein. Zu dieser Zeit wollen Polizisten einen beigen Wartburg mit Grevesmühlener Kennzeichen an einer weit entfernten Tankstelle gesehen haben. Demgegenüber berichteten im Prozeß gegen Eid Zeugen, daß ihnen schon gegen 3.30 Uhr ein beiger Wartburg in der Nähe des Brandhauses aufgefallen sei.

Daß die vier Grevesmühlener Sengspuren im Gesicht und an den Haaren aufwiesen, focht die Ermittler nicht an. Schließlich hatten sie Erklärungen dazu abgeliefert: Der eine will sich beim Anfeuern des Ofens angekokelt haben, Maik W. beim Versuch, einen Hund mit Haarspray einzusprühen und anzuzünden. Als ein LKA-Gutachten dies für absurd erklärte, nahm die Staatsanwaltschaft den Grevesmühlenern bereitwillig die Suche nach einer neuen Erklärung ab. Sie könnten sich beim Aufknacken eines Autos verbrannt haben, spekulierte Ankläger Böckenhauer.

Ebensowenig wie die Staatsanwaltschaft nun eine Wende sieht, glaubt auch Eids Rechtsanwältin Gabriele Heinecke daran: „Wie immer blendet die Staatsanwaltschaft aus, daß auch ohne das Geständnis seit zwei Jahren Anhaltspunkte für einen dringenden Tatverdacht vorliegen.“Auch Kibolo Katuta, der mit seiner Familie in der Hafenstraße wohnte und die Brandnacht überlebte, vermag nicht darauf zu hoffen, daß der Fall neu aufgerollt wird: „Das ist politisch nicht gewollt.“Jedoch auch zwei Jahre später sei es dafür „noch nicht zu spät“.

Weiterer Bericht S. 6

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen