: „Vier Kilo zweihundert Gramm!“
Nanni Moretti, seit kurzem Vater und seit langem Italiens engagiertester linker Filmemacher, setzt sich in seinem neuen Film „Aprile“ mit viel Ironie und bitterem Ernst von der Linken ab – ohne nach rechts zu gehen ■ Von Werner Raith
Da hat also Italiens vereinigte Linke – Linksdemokraten, linke Christdemokraten, linke Republikaner, Anti-Mafia-Bewegung und, fest mit dabei, Rifondazione comunista – völlig überraschend die Wahlen von 1996 gewonnen, sind die Nachfahren der 50 Jahre von der Macht ferngehaltenen KPler endlich am Ruder – und einer jener Intellektuellen, die in den letzten zwanzig Jahren am meisten zu jener meist krisengeschüttelten, doch nicht unterzukriegenden Kultur der Linken beigetragen haben, was macht er? Er saust mit seiner Vespa durch Rom, setzt sich an die Bar des Hauptquartiers der Linksdemokraten und brüllt: „Vier Kilo zweihundert Gramm.“
Es ist das Geburtsgewicht seines ersten Kindes, Pietro, und Nanni Moretti, 45, der stolze Vater, entdeckt inmitten des Trubels um den Sieg der Olivenbaum-Koalition, daß der heiß herbeigesehnte Sieg der Olivenbaum-Koalition nichts ist gegen das Glück über seinen Sohn. Und ihm dämmert in den folgenden zwei Jahren, langsam, aber immer überwältigender, daß alles, was er noch an linker Politik erhofft hat, längst entschwunden ist im Getrappel der Kompromisse, im Wahn des Regierungsfähigwerdens, im Schlammbad des sich Heranrobbens an die Macht.
Moretti spielt auch in „Aprile“ (im April 1996 errang die Linke jenen unerhofften Wahlsieg) in gewohnten Manier mit der Ironie, freilich wird sie im Film unentwegt bitterer Ernst. Im Grunde grauenvolle Szenen lösen sich in ein Gelächter auf, das einem sofort im Hals stecken bleibt: „Damals“, erzählt Moretti, wie in vielen seiner Filme autobiographisch, „als 1994 die Rechte die Wahl gewonnen hat, habe ich mir das erste Mal im meinem Leben einen Joint angezündet“; aus Paris hat er damals tatsächlich verkündet, er schäme sich, Italiener zu sein.
Doch als nun die Linke an die Macht kam und er sofort beschloß, einen Dokumentarfilm darüber zu drehen, wollte einfach nichts mehr vorangehen. Ein Freund, mit dem er seinerzeit das Projekt besprach, kommentiert in L'Espresso: „Er sprach mir alle paar Tage den Anrufbeantworter mit neuen Ideen voll – aber nie zeigte sich eine Annäherung an das Thema.“ Und so wird der Film immer trauriger, verzweifelter, schwärzer. Als die Albanerschiffe mit Tausenden von Flüchtlingen in Brindisi und Bari landen, ist Moretti zur Stelle und hofft, einen Repräsentanten der Linken diese ausgemergelten Menschen begrüßen zu sehen – „ist es denn wirklich möglich, daß nicht einer, nicht ein Abgesandter der Linken hierhergekommen ist und diese Leute umarmt?“ Es war möglich, es blieb so.
Und als Moretti im Fernsehen ein „Rededuell“ in einer Talkshow zwischen dem Chef der Linksdemokraten, Massimo D'Alema, und dem Rechten Silvio Berlusconi sieht, hüpft er aufgeregt wie bei einem Fußballmatch in seinem Sessel herum: „Los, D'Alema, hau zurück, reagier, los, los, sag was... Sag doch was, sag was Linkes, sag was Linkes...“ Aber D'Alema sagt nichts Linkes. Also weiter: „D'Alema, sag was Linkes, oder sag auch was Rechtes, aber sag bitte was, irgendwas...“ Aber aus dem Mund des Linksdemokratenchefs kommen nur leere Sprechblasen.
Moretti fällt in sich zusammen. Er sucht zu ergründen, was alles schiefgelaufen sein muß, daß die Linke sich so in Rauch aufgelöst hat. Seit dem Beginn seiner Filmarbeiten hatte er politische Themen bearbeitet, so in „Palombella rossa“ (1989) die Sinnkrise der KP, im „Portaborse“ (1991) die Dekadenz der einst intellektuell führenden Sozialistischen Partei, in „La Cosa“ (1992) die Befindlichkeit des linken Fußvolkes. Nun, langsam, kommt ihm die Erkenntnis, daß sich all das gesellschaftliche Engagement in einem Einheitsbrei auflöst, in dem links und rechts längst identisch geworden sind, sich niemand mehr vom anderen unterscheidet: „Alle Zeitungen sind heute identisch. In allen schreiben immer nur dieselben Journalisten – in der Tageszeitung über Politik, in einem linken Wochenmagazin über Kino, in einer rechten Monatsschrift über Literatur; sie schreiben im Corriere della sera und gleichzeitig in einer Frauenzeitschrift und im Magazin der staatlichen Eisenbahn. Im Grunde haben wir nur noch eine einzige, allumfassende Zeitung.“ Eine Entwicklung, die ihm schon seit längerem dämmerte, die aber durch die ungeheure Kraftanstrengungen, die Rechte wieder von der Macht zu verscheuchen, lange Zeit verdeckt blieb. „Als ich entdeckte, daß auch die KP ein wenig in den Mechanismus der Korrupution verstrickt war, habe ich einen Brief an die Chefs der Linken geschrieben: ,Liebe Führer der Linken, überlaßt die Partei den jungen Menschen, die im Unterschied zu euch nicht vom Stalinismus geprägt sind, vom Sektierertum, von der alten Art, Politik zu machen.‘“ Aber er hat diesen Brief nicht abgeschickt – damals noch wäre er ihm als ein Nackenschlag für die Linke erschienen.
Und so tritt in diesem Film der Rückzug ins Private immer mehr in den Vordergrund, das Familienglück ersetzt die Befriedigung der machtvollen Demos, das Spiel mit dem Kind auf dem häuslichen Fußboden die unzähligen Gruppensitzungen zur Weltverbesserung. Und worauf ist er am Ende noch stolz, dieser ehemals ruhelose Nanni Moretti, dem das Linkssein zur Leerformel geworden ist? „Stolz bin ich auf eines – daß ich im Kreißsaal nicht ohnmächtig geworden bin.“
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