: Rudi, du warst unser Licht und unsere Stimme. Jedesmal feierten wir die große Kommunion mit dir. Du bist tot. Wir haben gewonnen. Weil wir nicht an die Macht gekommen sind. Alles ist gut. Der Kampf geht weiter. Wir haben euch alle lieb. Ein
Rudi, du warst unser Licht und unsere Stimme. Jedesmal feierten wir die große Kommunion mit dir. Du bist tot. Wir haben gewonnen. Weil wir nicht an die Macht gekommen sind. Alles ist gut. Der Kampf geht weiter. Wir haben euch alle lieb. Ein Manifest.
Dreißig Jahre Trauer sind genug!
Rudi der Star. Wir haben ihn geliebt. Seine Fähigkeit, unseren Gefühlen und Gedanken Stimme zu verleihen. Der Fanatiker. Stechende Augen – der Revolutionär, ein toller Mann. Soo deutsch! Und so protestantisch. Der Ossi als brennender Erweckungsprediger. Der große Keusche. Der Sportler. Die Worte waren kaum zu verstehen, aber sein Feuer! Jedesmal feierten wir die große Kommunion mit ihm. Doch besonderes scharf waren die Männer auf ihn. Der Homoerotiker. Gaston, die Carmen an seiner Seite, und Bernd Rabehl als eifersüchtige Hausfrau, die ihn bis heute über seinen Tod hinaus verfolgt. Die Frauen als Kameradinnen: debil, eher schwach in seinen Augen, freundliches Mitleid. Dafür hat sich Gretchen in ihrem Buch reichlich gerächt: die Witwen...
Rudi war der erste Rapper und Deejay nach dem Krieg
Und da war seine Ambivalenz (man muß auch mal über Rudi etwas anderes sagen können, das hat er verdient). Er liebte die Macht, die äußere, mit den Männern, die großen Spiele – auf Kosten der konkreten Frauen. Da war seine Ekstase gefährlich, vor allem für ihn. Sein Attentäter Bachmann „wollte einen neuen Hitler verhindern“. Und Rudi erfuhr die „Gnade“ einer Nahtod-Erfahrung.
Die Sprache, sein großer Gesang. Er war der erste Rapper und Deejay nach dem Krieg, ein Schamane, der nur noch lallen konnte. Sprachübungen, natürlich mit Marx: Rudi, sag mal die elfte Feuerbachthese. „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ – „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kommt aber darauf an, sich zu verändern.“ – „Falsch, Rudi!“ – „Nein, nein, das will ich mir merken.“ Aus Gretchens Buch.
Ekstase ist leicht, aber welche Praxis folgt aus ihr? Für Rudi die Negation der äußeren Welt, die Revolutionierung der Produktionsverhältnisse – und später, als er nach Amerika gehen wollte, nur noch der Marsch durch die Institutionen. So wie er für die Revolution anfangs die Frauen verriet, hatte er nun für seine Frau die Revolution verraten – und das kostete ihn schließlich das Leben. Ein Glück, daß auch wir nicht an die Macht gekommen sind. Leider können wir bis heute noch nichts dafür. Immerhin brauchen wir diesmal keinen dritten Weltkrieg als ekstatische Initiation, denn seit 30 Jahren gehen wir mit den Frauen. Nach innen: offene Beziehungen, Therapie, Esoterik, Psychologie, Spiritualität – waren immer Frauensache. Nennt sich heute postmateriell, Selbstveränderung, Individualismus... Alles „unpolitisch“, ohnmächtig. „Wir haben verloren.“
Feiern wir den großen stillgelegten Brüter Kohl
Haben wir aber nicht, im Gegenteil! Wir haben alles gewonnen! Neue Politik geht nicht ohne die Herzen, ohne neu lieben zu lernen. Das beginnt eben innen, zu Hause... Eine Zeitlang sah es aus wie Sex (für viele bis heute).
Und wenn wir alles nicht glauben wollen, dann schaut auf unsere Kinder! Sie sind schön, ihre Oberflächlichkeit, Konsumgeilheit, Geschichtslosigkeit. Sie lieben und tanzen und tun all die schrecklichen Dinge, die die Eltern nie verstehen, und: Sie gehen weiter. Weiß sogar schon Roman Herzog (Are you ready to ruck?, Rede vom 26. April 1997 im Berliner Hotel Adlon): „Und wieder glaube ich an die jungen Leute (...) Ich glaube an ihre Tatkraft, ihren Gemeinschaftsgeist, ihre Fähigkeit, Visionen zu verwirklichen (...) Wenn ihr schon dem System nicht mehr traut, dann traut euch doch wenigstens selbst etwas zu! (...) Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag zugunsten der Zukunft. Alle, wirklich alle Besitzstände müssen auf den Prüfstand. (...) Wir brauchen wieder eine Vision. Visionen sind nichts anderes als Strategien des Handelns (...) Durch Deutschland muß ein Ruck gehen (...) Glauben wir wieder an uns selber.“
„Die besten Jahre liegen noch vor uns“ (Herzog)
Wir wollen ein Fest. In Berlin. Feiern wir die Auflösung des Staus, unsere Liebe, unsere vielen Projekte, das Medium Schröder, den stillgelegten großen Brüter Kohl, die unnötig gewordenen Parteien – und eben uns. Tausend Blumen blühen bereits, wir holen sie ans Licht. Im Sommer...
Und dazu noch einmal Herzog für die Berliner: „Ich wünsche mir, daß von dieser Berlin-Erfahrung Impulse auf ganz Deutschland ausgehen. Denn was im Laboratorium Berlin nicht gelingt, das wird auch in ganz Deutschland nicht gelingen (...) Glauben wir wieder an uns selber. Die besten Jahre liegen noch vor uns.“
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