: „Wir wollen wissen, wer's war“
Etwa 18.000 Männer wurden zum Speicheltest gebeten. 12.000 Proben konnte die Polizei nehmen. Der Gentest soll den Mörder von Christina überführen ■ Aus Cloppenburg Kerstin Schneider
Vor dem Musiksaal des Schulzentrums in Ramsloh, deren Schülerin Christina war, steht der 19jährige André Geringe. „Ich will keinen Ärger haben, deshalb bin ich gekommen“, sagt er. Er ist einer der 12.000 Männer, die sich zum Gentest einfinden. Ein Beamter bittet ihn in den Musikraum, wo fünf weitere Polizisten warten. Geringe legt seinen Personalausweis vor und unterschreibt eine Erklärung, die dem Landeskriminalamt erlaubt, von seinen Epithelzellen, die mit der Speichelprobe entnommen werden, einen genetischen Fingerabdruck anzufertigen.
Diese DNA-Analyse soll mit dem genetischen Fingerabdruck des mutmaßlichen Mörders verglichen werden. Aufgrund eines genetischen Fingerabdrucks hält die Polizei es für erwiesen, daß es sich bei dem Mann, der Christina getötet hat, um den gleichen Täter handelt, der vor zwei Jahren im benachbarten Neuscharrel ein Mädchen vergewaltigt hat.
Die Männer, die sich nicht melden, will die Polizei auch überprüfen. Geringe muß sich vor eine Wandtafel stellen. „Mund auf, Zunge nach hinten“, fordert der Polizist und steckt ihm ein etwa 15 Zentimeter langes Wattestäbchen in den Mund. „Das war's schon“. Das Wattestäbchen steckt der Beamte in ein Reagenzglas, das mit einem Code aus Geringes Daten beschriftet ist. Die Auswertung des Gentests wird mehrere Wochen dauern.
Von Fernsehkameras umringt, steht Gerrit List, Sprecher der Sonderkommission, die den Mord an Christina aufklären soll, vor dem Schulzentrum. „Was machen Sie, wenn nur 92 Prozent der Männer kommen? Hat die Maßnahme dann überhaupt Sinn?“ will eine Journalistin wissen. „Jede polizeiliche Maßnahme ist sinnvoll“, antwortet List. „Wie wollen Sie die Männer, die nicht kommen, überprüfen? Dazu gibt es doch gar keine rechtliche Grundlage?“ – „Das sind Fragen des Einzelfalles, die anschließend sorgfältig geprüft werden müssen“, sagt List. „Das kostet doch Millionen“, hakt der Journalist nach. Die Kosten der Untersuchungen werden derzeit auf 4,5 Millionen Mark beziffert, 250 Mark pro Test. „Wie viele Millionen ist Ihnen denn ein Menschenleben wert?“ gibt List zurück und wendet sich ab. Die Pressekonferenz ist beendet.
Vor der Grundschule im benachbarten Dorf Sedelsberg, wo einige Tage nach dem Verschwinden von Christina ihr Rucksack am Küstenkanal gefunden wurde, sitzt eine Gruppe Mädchen auf den Treppenstufen und mustert die Männer, die zum Speicheltest kommen. „Wir wollen wissen, wer's war“, sagt die 14jährige Karina. Christina habe sie „vom Schwimmbad“ gekannt. „Todesstrafe ist das mindeste für den“, wirft ihre Freundin Julia (14) ein. „Aber vorher muß man ihn noch stundenlang quälen“, ergänzt Maria (14). „Ich hab' mir noch 90 Pfenning von ihr geliehen, kurz bevor...“ Julia schüttelt den Kopf.
„Warum sollte ich nicht zum Test gehen?“ fragt der 18jährige Marco Imholte zurück, als er, von den kritischen Blicken der Mädchen verfolgt, die Stufen hinaufgeht. „Man macht sich ja sonst verdächtig.“ „Der Test ist die beste Chance, den Täter zu finden“, sagt auch Hans-Theo Jungeblut, der in der Grundschule in Vrees seine Speichelprobe abgibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen