Kanthers Gen-Datei zwischen den Fronten

Der Innenminister gibt den Startschuß für die neue Gen-Datei – und handelt sich zweifach Kritik ein: Justizminister Schmidt-Jortzig hält die Regelung für zu weitreichend, manchen Rechtsmedizinern ist sie zu lasch  ■ Von Christian Rath

Freiburg (taz) – Manfred Kanther ist stolz und zufrieden. Gestern gab der Bundesinnenminister in Wiesbaden den Startschuß für die neue Gen-Datei beim Bundeskriminalamt. „Schritt für Schritt wird das Netz enger, das wir in Deutschland gegen die Verbrecher knüpfen, deren Risiko steigt, und die Sicherheit der Bürger nimmt zu“, erklärte Kanther. Die der taz vorliegende Errichtungsanordnung für die Datei geht weit über die Pläne des Justizministeriums hinaus.

In der Wiesbadener Datei können nicht nur die genetischen Fingerabdrücke, sogenannte DNA- Profile, verurteilter Straftäter gesammelt werden, sondern die aller „Beschuldigter“. Als Beschuldigter gilt man mit Beginn des Ermittlungsverfahrens (also nicht bei freiwilliger Abgabe eines Tests wie jüngst in Cloppenburg). Laut Errichtungsanordnung sind die Daten eines Beschuldigten allerdings zu löschen, „wenn kein Grund mehr zu der Annahme besteht, daß gegen ihn Strafverfahren wegen Straftaten mit erheblicher Bedeutung zu führen sind“.

Vom Bundesjustizministerium war gestern keine Stellungnahme zu dieser Errichtungsanordnung zu erhalten. Man will derzeit die Einigungsbemühungen mit dem Hause Kanther nicht unnötig belasten. Weiterhin besteht aber vor allem an drei Punkten Dissens zwischen den Ministerien: So will Justizminister Schmidt-Jortzig (FDP) im wesentlichen in Wiesbaden nur die Gen-Daten von Straftätern speichern, die tatsächlich verurteilt sind. Außerdem gibt es Streit um die Art der Straftaten, die zur Speicherung führen. Während Schmidt-Jortzig nur Verbrechen (Mindeststrafe ein Jahr) und Sexualdelikte berücksichtigen will, ist in Kanthers Anordnung lediglich vage von „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ die Rede. Gemeint sind damit Taten, „die mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen“ sind und die „geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen“. Kanthers Standardbeispiel sind Einbruchsdiebstähle, die von Serientätern begangen werden.

Wenn sich am Ende der Justizminister durchsetzt, dann müßten zahlreiche Datensätze in Wiesbaden wieder gelöscht werden. Voraussetzung dafür ist aber, daß es überhaupt zu der gesetzlichen Regelung kommt, an der Schmidt- Jortzig derzeit arbeitet. Seine Chancen stehen gut. Denn auch Minister Kanther weiß, daß er das Instrument des Gesetzes nicht völlig vermeiden kann. Zumindest wenn von geständigen Straftätern im nachhinein ein DNA-Profil erstellt werden soll, muß dies gesetzlich geregelt werden.

Inzwischen hat sich nach SPD- Rechtsexpertin Herta Däubler- Gmelin auch Niedersachsens Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) für ein Gen-Datei-Gesetz ausgesprochen. Er will bis zur Innenministerkonferenz am 7. und 8. Mai sogar einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen.

Bisher werden die DNA-Analysen dezentral in den Landeskriminalämtern aufbewahrt. Nur auf konkrete Anfrage einer Polizeidienststelle kann überprüft werden, ob eine Tatspur eventuell von einem Rückfalltäter stammt. In Zukunft werden die DNA-Profile in Wiesbaden zentral gespeichert werden. Erfaßt werden soll dabei aber nach wie vor nur das Ergebnis der Untersuchung im nichtkodierenden Bereich des Erbmaterials. Hieraus können keine weiteren Auskünfte über Persönlichkeitsmerkmale gewonnen werden. Nichtkodierend ist das Erbmaterial dort, wo es keine Erbinformationen enthält.

Nach der aktuellen STR-Technologie steht am Ende der DNA- Analyse ein Code von bis zu zehn zweistelligen Zahlen. Dieser Code macht eine Person mit einer Wahrscheinlichkeit von nahezu 100 Prozent identifizierbar, zumindest sofern im Labor keine Fehler gemacht wurden. Die der Untersuchung zugrunde liegende Blut-, Haut- oder Speichelprobe wurde bisher wieder an die untersuchende Staatsanwaltschaft zurückgeschickt, wo sie etwa zwei Jahre nach rechtskräftigem Abschluß des Strafverfahrens vernichtet wird. Hieran will auch das Innenministerium nichts ändern.

Diese Vernichtung der Originalproben ist allerdings ein Dorn im Auge der Rechtsmediziner. Bernd Brinkmann, Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, fordert die Politik auf, das geplante Konzept der Gen-Datei nochmals zu überdenken und an internationale Gepflogenheiten anzupassen: „In den Niederlanden, in Großbritannien und den USA, überall wird eine Originalprobe aufbewahrt.“ Brinkmann befürchtet, daß die deutsche Kriminaltechnik ansonsten auf Jahrzehnte hin auf dem aktuellen Stand „eingefroren“ wird. „Wenn wir in zehn Jahren exaktere Testsysteme haben, bringen sie uns nichts, weil in der Wiesbadener Gen-Datei nur die alten Codes gespeichert sind.“ Brinkmann will die Reserveproben nutzen, um das Material immer wieder auf dem jeweiligen Stand der Technik nachtesten zu können. Auch hier gehe es, so Brinkmann, nur um Tests im nichtkodierenden Bereich.

Allerdings könnten diese Reserveproben in Zukunft auch zu anderen Zwecken verwendet werden. Brinkmann schätzt, daß man „vielleicht in zehn bis zwanzig Jahren“ auch äußere Erkennungsmerkmale wie die Farbe von Haar, Haut und Pupille aus den Genen ablesen kann. Heute ist das noch zu schwierig, weil mehrere Gene zusammenspielen. Für „baren Unsinn“ hält es Brinkmann dagegen, wenn befürchtet wird, man könne mit Hilfe der Gene „Persönlichkeitsbilder“ erstellen: „Das ist nicht nur viel zu kompliziert, sondern unterschätzt auch den Einfluß der Umwelt.“