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Wie recht ist DDR-Recht?

■ Verfassungsgericht entscheidet über „unerträglichen Willkürakt“ in der DDR

Karlsruhe (taz) – DDR-RichterInnen können wegen Rechtsbeugung verurteilt werden, wenn sie in ihren Urteilen gegen menschenrechtliche Grundsätze verstoßen haben. Dies entschied in einem gestern bekanntgemachten Pilotbeschluß das Bundesverfassungsgericht. Es lehnte dabei die Verfassungsbeschwerde einer DDR- Strafrichterin ab, die derzeit eine Haftstrafe verbüßt.

Die Berliner Richterin hatte unter anderem einen Mann zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, weil er die in der Bundesrepublik gedruckte K-Gruppen-Zeitschrift Roter Morgen verteilt hatte. Dieses und weitere harte Urteile gegen ausreisewillige DDR-BürgerInnen brachten ihr nach der Wende eine Anklage wegen Rechtsbeugung ein, die letztlich auch zur Verurteilung führte. 21 Monate muß die ehemalige Richterin hinter Gittern büßen. Bestraft werden DDR- RichterInnen dabei nicht nach West-Recht, sondern nach dem Strafgesetzbuch der DDR, das die „Rechtsbeugung“ ebenfalls unter Strafe stellte. Unproblematisch ist dies aber nur dann, wenn die DDR-Richter das DDR-Straf- oder Verfahrensrecht einst wissentlich falsch angewandt hatten.

Häufig aber hielten sich heute besonders hart erscheinende Urteile noch im Rahmen des DDR- Rechts. Für derartige Fallgruppen hatte das höchste Strafgericht, der Bundesgerichtshof, eine differenzierte Rechtsprechung entwickelt. So liege keine Rechtsbeugung vor, wenn die DDR-Gesetze damals „parteilich“, das heißt „marxistisch-leninistisch“, interpretiert wurden. Schließlich habe es in der DDR keine „Unabhängigkeit der Gerichte“ im westlichen Sinne gegeben.

Nur „grob menschenrechtswidrige“ Ergebnisse hätten vermieden werden müssen. Nach Auffassung des BGH wäre dies in der DDR durchaus möglich gewesen. Auch die Berliner Richterin hätte nach Ansicht des BGH nicht so hart urteilen dürfen. Wer für ein bloßes Meinungsdelikt eine langjährige Haftstrafe verhänge, begehe einen „unerträglichen Willkürakt“.

Doch die DDR-Juristin gab nicht auf und erhob Verfassungsbeschwerde. Letztlich sei ihr Tun eben doch nicht nach ostdeutschen, sondern nach westdeutschen Maßstäben beurteilt worden. Dies aber sei ein Verstoß gegen das im Grundgesetz garantierte Verbot von rückwirkenden Strafgesetzen.

Das Verfassungsgericht, das sich erstmals mit der Verurteilung von DDR-RichterInnen beschäftigte, sah das Rückwirkungsverbot nicht verletzt. Wie schon beim Mauerschützenurteil im Jahr 1996 erklärten die Roten Roben, daß die Begrenzungen des Grundgesetzes nicht beachtet werden müssen, wenn es um „extremes staatliches Unrecht“ gehe und dabei „die in der Völkergemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise mißachtet“ werden. Auch die Freiheitsentziehung durch richterliches Urteil könne „schwerstes kriminelles Unrecht“ darstellen. Zwei heikle „Fallgruppen“ wurden nun vom Verfassungsgericht abgesegnet. So könne eine Rechtsbeugung auch dann vorliegen, wenn DDR-Richterinnen das DDR-Strafrecht „unter Ausnutzung (seiner) Unbestimmtheit“ „überdehnt“ haben und – zweitens – wenn eine Strafe selbst für „politisch indoktrinierte“ DDR-Richter als „grob ungerecht“ zu erkennen war.

Eine mit drei RichterInnen besetzte Kammer des Gerichts nahm die Verfassungsbeschwerde wegen mangelnder Erfolgsaussicht erst gar nicht zur Entscheidung an.

(Az. 2 BvR 2560/95) Christian Rath

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