piwik no script img

Ein Schnellschuß

■ Ein Führer zur Fußballweltmeisterschaft in Frankreich, haarscharf am Fan vorbei

Die Idee ist nicht unpfiffig: Ein fingerdünnes Taschenbüchlein für den deutschen Fan, der während der Fußball-WM im Juni und Juli der DFB-Elf durch Frankreich hinterhertourt. Ein doppelseitiger Spielplan zum Eintragen der Ergebnisse, die neun Spielstädte in Kleinklein-Porträts (Geschichte im extremen Zeitraffer, Stadtrundgänge zum Nachflanieren, praktische Hinweise), daneben Innenstadtpläne für die gröbste Orientierung.

Doch den richtigen Fan interessiert wohl nur am Rande, daß die Tour Grosse Cloche in Bordeaux im Mittelalter eines der Stadttore war oder daß die Basilique Notre- Dame in Lyon im opulenten Zuckerbäckerstil des vorigen Jahrhunderts erbaut wurde. Der Fan will vor allem eins wissen: „was auf'm Platz ist“.

Bekommt er auch. Kurze Beschreibungen der Fußballplätze, vom Stadion Félix-Bollaert in Lens („Revier-Fußball mit englischer Atmosphäre“), wo die Berti-Truppe im Gruppenspiel auf Jugoslawien trifft, bis zum eine Milliarde Mark teuren neuen Stade de France in Paris St. Denis, wo unter anderem das Endspiel stattfindet.

Polyglott hat für seine WM- Nummer die „Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußball-Bund und adidas“ gesucht. Das sieht man dem Band gründlich an. DFB- Präsident Egidius Braun verfaßte das Grußwort, DFB-Pressechef Wolfgang Niersbach lobhudelte das Vorwort über „Die deutsche Nationalmannschaft“. Leider vergißt Niersbach im nationalen Hochgefühl zu erwähnen, daß „Frankreichs WM-Organisator“ mit Klarnamen Michel Platini heißt: „1982 und 1986 war für ihn [Platini; d.Red.] und die Equipe tricolore jeweils im Halbfinale Endstation. Gegner? Natürlich Deutschland!“ Peinlich erst recht die Nachspielminuten des Vorworts: ein tiefer Diener vor dem Drei-Streifen-Sponsor der DFB- Zweiundzwanzig.

Jürgen Klinsmann und Thomas Helmer in Dressman-Pose, der eine klassisch im weiß-schwarzen Trikot, der andere in grün-weißem Outfit, scheinen geradewegs dem Katalog der Herzogenauracher Sportartikelfirma entsprungen. Und ein dunkelhäutiges Mädchen in Adidias-Fan-Kollektion schwingt frohgemut ein schwarz- rot-güldenes Fähnchen.

Wie gehabt bei Polyglott die klitzekleinen Suchbilder. Zum Beispiel im Paris-Abschnitt auf Seite 17 das Foto oben rechts: bezopfter, sonnenbebrillter Typ ganz in Weiß im Schneidersitz trifft am Brunnenrand auf sommerlich gekleidete Brünette. Dazu die genialisch einfache Bildunterschrift: „In Paris trifft man interessante Menschen.“

Warum allerdings manche Fotos mit Spielszenen erklärt werden – so die prophetisch-gewagte Textzeile „Jürgen Klinsmann spielt in Lens gegen Jugoslawien“ –, bei anderen Bildchen wie denen mit Thomas Häßler oder Andi Möller hingegen jeglicher Kommentar fehlt, bleibt ein Rätsel. Zufall, Platzmangel, Schluderei?

Sprachkompetenz und Wursthäute

Das Entrée zum Sprachführer-Kapitel: Andi Köpke, der „Franzose“ unter den deutschen Nationalkickern, posiert strahlend mit dem Langenscheidt-Taschenwörterbuch Deutsch-Französisch. Seht her, will uns der gardien de but von Olympique Marseille sagen, ich habe meine Lektionen gelernt. Sprachunkundige Fans können vom alltäglichen „Bonjour, ça va?“ bis zum essentiellen „Es fehlen Kleiderbügel“ viele Situationen meistern lernen.

Erst recht, wenn es um die Feinheiten des fachgerechten Fluchens im Stadion geht.: „L'arbitre a des peaux des saucissons sur les yeux“ bedeutet „Der Schiedsrichter hat Tomaten (wörtlich: Wursthäute!) auf den Augen.“ Gurkenspiel heißt aber mitnichten „match des concombres“, sondern schlicht „match foutu“. Aber warum um Fußballs willen heißt der „Sechzehner“, das deutsche Sportreporter-Synonym für Strafraum, à la française „les dix-huit mètres“ (also Achtzehner)? Ist der französische Strafraum womöglich zwei Meter größer als der deutsche? Das müßte Berti Vogts & Co. zu denken geben!

Unter dem Strich: Ein verlegerischer Schnellschuß. Zum baldigen Verzehr verdammt. Denn nach der WM ist der Titel nur noch Ramschware. Günter Ermlich

„Fussball-Weltmeisterschaft in Frankreich. Reise- und Sprachführer“. Polyglott Verlag, München 1998. 96 Seiten, 12,90 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen