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Vermummung durch Transparent

■ Gestrige Demo gegen Kanthers Innenpolitik wurde von der Polizei vorzeitig aufgelöst. Veranstalter spricht von 50 Festnahmen

Die Demonstration kommt nicht weit. Begleitet von einem beispiellosen Polizeiaufgebot starten die rund achthundert, überwiegend jugendlichen TeilnehmerInnen Sonntag gegen 14 Uhr an der SPD-Parteizentrale in Kreuzberg. Ihr Protest richtete sich gegen die „rassistische Innenpolitik“ von Innenminister Manfred Kanther (CDU). Ihr Ziel, den Breitscheidplatz, wo die Abschlußkundgebung geplant ist, sollen sie nicht erreichen.

Bereits bei den Vorkontrollen der Polizei werden mindestens acht DemonstrantInnen festgenommen, weil sie Tücher oder Kappen mit sich tragen, mit denen sie sich hätten vermummen können. Ein junger Mann muß sich bis aufs Unterhemd ausziehen, sein Kapuzenpulli samt schwarzer „Haßkappe“ wird gefilmt, dann kommt er zu den anderen in den Sammeltransporter.

Trotzdem ist die Stimmung zu Beginn der Demonstration noch entspannt. Dies änderte sich jedoch rasch, wozu vor allem das doppelte Polizeispalier beiträgt, das den Demonstrationszug begleitet. An der Kreuzung Mehringdamm stehen ein Wasserwerfer und ein panzerähnliches Räumfahrzeug bereit. Als der Zug in die Gneisenaustraße einbiegt, laufen Polizisten und Demonstranten eingezwängt zwischen Mittelstreifen und geparkten Autos. Dort stoppt der Zug gegen 15 Uhr mehrmals aus Protest gegen das Spalier. In der beengten Situation wird die Lage zunehmend angespannter.

Zehn Minuten später kommt es Ecke Nostizstraße zur ersten Rangelei. Polizisten stürmen in die Demonstration, um ein Transparent mit der Aufschrift „Radikal leben und lesen“ zu beschlagnahmen – angeblich, weil diejenigen, die es hochhalten, sich damit vermummen. Es kommt zu Festnahmen. Ein Passant im gelben Jackett, der zufällig Augenzeuge der Szene wird, ist empört: „Die Polizei provoziert ganz bewußt.“ Der Mann, der als Beamter an einer Berliner Universität tätig ist, läßt sich von dem Einsatzleiter die Nummer geben. Den Polizeibeamten will er verklagen.

Eine Straßenkreuzung weiter lösen die Veranstalter gegen 15.30 Uhr die Demonstration auf. Der Lautsprecherwagen biegt in die Zossener Straße ein, um wegzufahren, doch ihm wird plötzlich ohne Grund von einem Polizeikordon der Weg versperrt. Es kommt zu Schlagstockeinsätzen. Wenig später kann der Wagen abziehen. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Polizei und verbliebenen Demonstranten beginnt.

Polizisten setzen Grüppchen von Demonstranten nach, treiben sie in die Seitenstraßen und die Gneisenaustraße Richtung Hermannplatz hoch – noch bevor die erste Aufforderung zum Verlassen der Kreuzung ergeht. Der U-Bahnhof Gneisenaustraße wird vorübergehend geschlossen. In den Seitenstraßen bringen türkische Familienväter ihre Autos aus der Gefahrenzone.

Die Polizei treibt die Demonstranten langsam Richtung Südstern. Gegen 16 Uhr gelingt es den Einsatzkräften, die restlichen Demonstranten am Südstern und am Mehringdamm auseinanderzutreiben. Einer der beiden Anmelder spricht von insgesamt 50 Festnahmen. Dorothee Winden

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