: Sado-Maso in der Volksbank
■ Wenn sich Peter Wawerzinek mit seiner Erzählung „Café Komplott“ in Zivilisationskritik übt, bleibt die Poesie auf der Strecke
Wer nicht wahrhaben will, daß er in der eigenen Soße schmort, schmückt sich gern mit Attributen der Weltläufigkeit. Entfernte Länder und Städte werden zur Projektionsfläche eigener Tagträume und leuchten verheißungsvoll am Horizont des Alltags. So ähnlich geht es den Helden in Peter Wawerzineks neuer Erzählung „Café Komplott“, die sich aus der Enge der ostdeutschem Herkunft nach England, Irland, Frankreich oder Nordamerika flüchten.
In Irland versammelt sich das muntere Häufchen von Einheits- Enttäuschten: Gastgeber Ed, der Frühausreiser und Zyniker, Filmemacher Heinrich, moralischer Rigorist in eigener Sache, Bürgerrechtler Joachim, der in die Bewegung aufgenommen wurde, „weil er wie kein zweiter von den ausschweifenden Verbrechen Stalins reden kann, daß die bürgerbewegten Mädchen vor Baffheit schweigend an seinen Lippen hängen“, und schließlich Paul, der Stotterer, der nach dem Ruin seiner Erfolgsvermittlungsagentur dem Land den Rücken gekehrt hatte. Zusammen beschließen sie nun, dem Aufbau der blühenden Landschaften aus nächster Nähe beizuwohnen – in Ostberlin. Hier erkennen die Heimkehrer die Welt nicht wieder: Neue Geschäfte haben sich eingenistet, alte Freunde sind ausgereist, die Jugend interessiert sich nur noch für Techno und Werbung.
Für den Leser, der immer nur ein paar Seiten vor dem Einschlafen liest, mag diese Ausgangskonstellation ganz passabel sein. Doch beim Weiterlesen stellt sich heraus, daß der Autor selbst in den Strudel jener topographischen Kreisbewegung gerät, die er seinen Figuren auferlegt hat. Was für eine wirre Geschichte: Der Männerverein, zurück in Berlin, trifft in einer Kneipe auf eine Frau namens Vanessa aus Kreuzberg, deren einziges Trachten darin besteht, sich an einer enttäuschten Jugendliebe zu rächen. Der junge Mann von einst ist inzwischen Chef der neuen Volksbank am Potsdamer Platz und soll nun, mit tätiger Hilfe der Freunde aus Ostberlin, als Geisel genommen werden. Die Männer verkleiden sich als Angestellte der BSR und finden so Einlaß in den Sicherheitstrakt der Bank. Die Jugendliebe („Hans die Ratte“) wird vom Direktorensessel geschubst und von Vanessa mit sadomasochistischen Praktiken traktiert.
Das Ganze gerät zum Medienereignis, ein Video von den Folterungen wird der Presse zugespielt, ein Krisenstab berät die Folgen der Geiselnahme für den Regierungsumzug nach Berlin, Sondersendungen halten das geile Volk auf dem laufenden. Zum Höhepunkt der Aktion gerät der Selbstmord von Heinrich, der sich vom Dach des Gebäudes stürzt, nachdem er das Publikum mit einer Art Fürbittpredigt unterhalten hat.
Was mag in Wawerzinek, den Verfasser atemberaubend schöner Kindheitserinnerungen, gefahren sein, solch schlaftreibenden Unsinn zu Papier zu bringen? Das löbliche Unterfangen, sämtliche Übel der modernen Gesellschaft zu geißeln? Die Politiker reden blödes Zeug, die Medien inszenieren ihre eigene Wirklichkeit, und die tumbe Jugend tanzt einem promovierten Insekt hinterher, dem es nicht um Techno, Liebe oder Politik geht, sondern einzig ums Geschäft. Das kann ich auch in der Zeitung lesen. Wozu dann noch auf jeder Seite der Geruch nach Kachelofen und feuchtem Treppenhaus, jenes olfaktorische Markenzeichen des Prenzlauer Bergs?
Wenn es sich dennoch lohnt, das neue Buch von Wawerzinek zur Hand zu nehmen, so liegt das vor allem an den vielen gelungenen Bildern, die der Autor in die öde Geschichte eingestreut hat. In den USA beobachtet Heinrich: „Dicke und dünne Amerikaner gehen in trauter Gemeinsamkeit von Laden zu Laden, schlendern zum Tor hinein, zur Tür hinaus, um über Angebote nachzudenken.“ In Irland „betteln die Kamine, im Haus zu bleiben“, und die Bettler sehen aus „wie vom gleichen Versand geliefert“. Einer seiner Figuren legt der Autor die Einsicht in den Mund, „daß Werke der Literatur, wenn sie leicht und locker daherkommen, von einer inneren Musik wie Fleisch vom Skelett gehalten“ werden müssen. Dem neuen Buch von Wawerzinek fehlt die innere Musik ebenso wie ein belastbares Skelett, und was bei dem Bemühen herausgekommen ist, ein literarisches Streiflicht auf die Zeitläufte zu werfen, ist weder Fisch noch Fleisch. Peter Walther
Peter Wawerzinek: „Café Komplott. Eine glückliche Begebenheit“. Transit-Verlag, Berlin 1998, 140 Seiten, 28 DM
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