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Potsdams Bürger lassen Gramlich fallen

Potsdams SPD-Oberbürgermeister Horst Gramlich wurde per Volksabstimmung abgewählt. Nun erhält er ein üppiges Ruhegeld. Die SPD hofft, daß Umweltminister Platzeck Gramlichs Nachfolger wird  ■ Aus Potsdam Heike Spannagel

Pures Mobbing sei das, daran wolle sie sich nicht beteiligen, meint eine ältere Bürgerin am Sonntag abend am Potsdamer Bahnhof. Schräg gegenüber ein Plakat: „17. Mai – Gramlich abwählen? Wir sind bereit“ – die eilig angebrachte Botschaft der Potsdamer SPD. Erst in den Tagen vor dem Abwahltermin am 17. Mai hat sie entschieden, offen zum Abschuß ihres eigenen Mannes aufzurufen. Ein Vorgang, der so in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht dagewesen ist.

Um 19.30 stand im Potsdamer Stadthaus das Ergebnis fest: Knapp 40 Prozent der Potsdamer Wahlberechtigten hatten sich an der Abwahl beteiligt, knapp 90 Prozent davon stimmten mit Ja, das sind knapp 10.000 Stimmen mehr, als für die Abwahl notwendig gewesen wären. Im Sitzungssaal des Potsdamer Stadthauses bricht spontaner Applaus aus, als auf der Leinwand das Ergebnis eingeblendet wird. Im Saal macht sich Erleichterung breit.

Aufatmen kann allen voran die Potsdamer SPD, wurde sie doch von den Bürgern Potsdams aus einer mißlichen Lage gerettet. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sich weniger als 25 Prozent der Wahlberechtigten an der Abwahl beteiligt hätten und Horst Gramlich damit im Amt geblieben wäre.

Erleichterung steht nicht zuletzt Matthias Platzeck ins Gesicht geschrieben. Der Umweltminister des Landes Brandenburg, der sich bei der Oderflut im vergangenen Jahr als „Deichgraf“ einen Namen gemacht hat, will jetzt in Potsdam Oberbürgermeister werden. Ende Februar hatte er sich auf Drängen des SPD-Unterbezirksvorsitzenden Rainer Speer bereit erklärt, für das Amt des Oberbürgermeisters zu kandidieren – falls Horst Gramlich am 17. Mai abgewählt würde. Indessen häuften sich die Vorwürfe an den Oberbürgermeister von seiten der anderen Fraktionen: Er habe zu lange Baustadtrat Detlef Kaminski (SPD) unterstützt, der im Januar wegen einer Bauaffäre abgewählt worden war. Für den 44jährigen Matthias Platzeck scheint nach der Abwahl Gramlichs die Bahn frei zu sein. Als Oberbürgermeister würde er eine gute Figur machen, ist der strahlende SPD-Star doch so ganz anders als der verschlossene Horst Gramlich.

Bei allem Zuspruch – ganz wohl kann Platzeck in seiner Haut nicht sein, schließlich wurde der Parteigenosse Gramlich zu seinen Gunsten fallengelassen. Daß er sich „gewiß in keiner schönen Situation befinde“, mußte er am Abwahlabend zugeben. Aber: Das Menschliche lasse sich mit der Politik eben nicht immer vereinbaren und er sei dazu bereit, seinem Rivalen in die Augen zu schauen.

Horst Gramlich ging seinem Herausforderer am Sonntag tunlichst aus dem Weg. Erst als am Abend seine Abwahl besiegelt war, stellte er sich der Öffentlichkeit: Gefaßt und geradezu erleichtert wirkte der 60jährige, als er gewohnt kurzangebunden seinen Kommentar abgab. Natürlich sei er enttäuscht, sagte er. Enttäuscht von den Bürgern, die ihn nicht mehr haben wollten, enttäuscht nicht zuletzt von seiner eigenen Partei, die sich an der beispiellosen Kampagne gegen ihn beteiligt hätte. Und: Mit der Abwahl habe er wirklich nicht gerechnet. Ganz uneigennützig war Gramlichs Festhalten am OB-Stuhl wohl nie. Durch einen Rücktritt wäre ihm eine stattliche Rente entgangen – drei Monate erhält er noch sein volles Gehalt von 10.500 Mark, bis Ende 2001 75 Prozent seiner Bezüge, danach noch 3.500 Mark monatlich. Allein die PDS, die lange Zeit unschlüssig war, hielt am Ende noch zu ihm. Aus verständlichem Kalkül: Mit Platzeck als OB drohen der PDS schlechtere Zeiten, zumal sich die SPD in Potsdam Umfrageergebnissen zufolge auf dem Vormarsch befindet. Aus der Kommunalwahl, die in Brandenburg parallel zur Bundestagswahl am 27. September stattfindet, will die SPD als stärkste Fraktion hervorgehen. Den bevorstehenden Wahlkampf will die PDS denn auch gegen Matthias Platzeck und die SPD bestreiten. Ihr Kandidat ist ein alter Bekannter: Rolf Kutzmutz. Der Mann, der sich zu seiner früheren IM-Tätigkeit bekennt, war bei der Stichwahl des Oberbürgermeisters 1993 gegen Horst Gramlich nur knapp unterlegen. Bis zur voraussichtlichen Wahl im September wird der Stadtkämmerer Hans-Joachim Bosse die Amtsgeschäfte führen. Allerdings nicht mehr im Namen der SPD. Denn Bosse trat gestern aus der Partei aus. Er habe, sagt er, den menschlichen Umgang in der SPD nicht mehr ertragen können.

Siehe Kommentar Seite 12

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