piwik no script img

Schwarzfahren soll für Studis unmöglich werden

■ Gute Chancen für das Semesterticket für StudentInnen: Parteien und Verwaltung sind dafür, BVG ist dagegen. Doch der Verkehrsverbund VBB will damit 100.000 neue Kunden gewinnen

Nach jahrelangem Stillstand rückt das Semesterticket für StudentInnen nun in greifbare Nähe. Vor dem Verkehrsausschuß des Parlaments erklärte gestern der Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB), Uwe Stindt, es gebe „eine gute Chance, zum nächsten Frühjahr 200.000 Studenten unter Vertrag zu bekommen“. Auch Vertreter der studentischen „Semtix“- Koordination für ein Semesterticket erklärten, beim jetzt gehandelten Preis von etwa 200 Mark für den Nahverkehr in Berlin und Brandenburg sei eine Einigung wahrscheinlich. Alle Fraktionen und die Verkehrsverwaltung begrüßten die Einführung des Studententickets – was sie schon seit drei Jahren tun, ohne daß sich etwas bewegt hätte.

Der neue Anlauf ist nun möglich, weil nicht mehr die BVG, sondern der VBB die Verhandlungen führt. Denn dem Semesterticket steht die BVG seit je skeptisch gegenüber. Ein Preis von 215 Mark sei kostenneutral zu verwirklichen, erklärte BVG-Sprecherin Carmen Kirstein, bei 205 Mark zahle die BVG allerdings 2,6 Millionen Mark jährlich zu, bei 195 Mark sogar mehr als 5 Millionen Mark. VBB-Chef Stindt dagegen sieht das Ticket als Standortfaktor für Berlin, als soziale Maßnahme für die Studenten und als Kundenfangmöglichkeit für den VBB: In anderen Verkehrsverbünden sei die Zahl der Kunden durch das Semesterticket schließlich um etwa 30 Prozent gestiegen.

Die BVG dagegen fürchtet neue Ausgaben. Wenn alle Studierenden pro Halbjahr etwa 200 Mark für ihr Ticket zahlen, gewinnen oder verlieren BVG und S-Bahn dann Geld? Einerseits zahlen alle, andererseits bekommen die Unternehmen pro Karte nur noch die Hälfte – derzeit kostet ein Azubi-(Studenten-)Ticket AB 70 Mark, das Semesterticket pro Monat etwa die Hälfte. Doch über die entscheidende Frage, wie viele jetzige KundInnen BVG und S-Bahn verlorengingen, kann die BVG keine Angaben machen. Einen erhöhten Bedarf an Bussen und Bahnen durch die zusätzlichen Kunden und damit zusätzliche Kosten sieht der VBB nicht: Bei den täglich 3 Millionen Fahrgästen würden zusätzliche 60.000 Studis kaum auffallen, heißt es.

Die BVG wiederum verweist auf ein Gutachten des Wirtschaftsinstituts DIW, nach dem der Preis für die ABC-Zonen bei 270 Mark liegen müsse. „Wir haben den Preis auf 215 Mark für AB reduziert und finden das auch sozialverträglich“, meint BVG-Sprecherin Carmen Kirstein. Niedrigere Preise müßten vom Land subventioniert werden. Die StudentInnen von „Semtix“ lehnen das 215-Mark-Angebot als zu teuer ab. Der Preis sei „sozial nicht vertretbar“, erklärte Florian Böhm vom Asta der TU. Immerhin soll das Ticket in einer Urabstimmung der Studierenden angenommen werden. Nach seinen Angaben benutzen derzeit nur etwa 62 Prozent der Studierenden Busse und Bahnen, und „Schwarzfahren zahlt sich bei den hohen Preisen aus“.

Weitere staatliche Hilfen für die BVG als Kompensation für das Semesterticket lehnt der grüne Verkehrsexperte Michael Cramer vehement ab. „Die Tarifdilettanten von der BVG sollen doch ruhig sein. Seit Jahren versprechen sie uns, die Erhöhung der Preise werde zur Erhöhung der Einnahmen führen, und das Gegenteil ist der Fall“: In den letzten vier Jahren habe die BVG mit 230 Millionen Fahrgästen ein Viertel ihrer Kundschaft verloren. Er fordert von der BVG, „mit mehr Kunden die Einnahmen zu erhöhen, statt mit immer weniger Kunden die Einnahmen zu senken“. Das Semesterticket sei eine gute Chance, den Nahverkehr wieder attraktiver zu machen. Der SPD-Verkehrspolitiker Christian Gaebler warf der BVG vor, sie begreife nicht, daß es „um 200.000 Kunden geht“.

Das Angebot, für einen Preis von etwa 200 Mark im Semester das gesamte VBB-Gebiet befahren zu dürfen, ist ein geschickter Verkaufstrick des Verbundes. Ähnlich wie beim monatlichen 240-Mark-Ticket für normale Fahrgäste wird so für einen höheren Preis etwas geboten, was nur die wenigsten wirklich nutzen. „Niemand fährt doch jeden Tag von Brandenburg nach Cottbus“, heißt es beim VBB. Bernhard Pötter

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen