Das zweite Exil des Thomas A.

In den 70ern wollte Thomas Auerbach die DDR „von links überholen". Dafür ist er bespitzelt, eingesperrt und ausgebürgert worden. In einer Welt von Verrätern ist ihm just die CDU zur neuen politischen Heimat geworden  ■ Von Robin Alexander

Berlin (taz) – Die Pförtnerin mustert ihn länger als einen routinierten Augenblick. So einer taucht nicht jeden Tag auf im schicken Quartier der CDU in Berlin-Mitte. Sein schwarzes T-Shirt spannt über dem Bauchansatz. Die Männer, die hier sonst verkehren, verstecken ihre Problemzonen unter Jacketts. Auch die runde Nickelbrille gehört hier nicht zum üblichen Outfit. Es ist der schwarze, leicht struppige Vollbart, der Thomas Auerbach identifiziert: Ach, der Bürgerrechtler, denkt die Einlaßdame und drückt den Summer, der die Glastür öffnet: „Sie werden erwartet.“

Thomas Auerbach ist ein gern gesehener Gast bei der Union. Im Mai hat er erklärt, er wolle Mitglied werden. Auf dem letzten Parteitag in Bremen wurde er sogar gemeinsam mit drei anderen DDR-Dissidenten auf dem Podium präsentiert. Diese Freundlichkeit gab es natürlich nicht umsonst. Jede Partei schmückt sich gern mit Menschen wie Thomas Auerbach. Menschen, die Rückgrat bewiesen haben, und deshalb einen Bonus wegen moralischer Integrität genießen. Die hat Thomas Auerbach in der DDR unter Beweis gestellt. In der Jungen Gemeinde Jena hat er in den siebziger Jahren die „Offene Arbeit“ miterfunden. „Staatsferne“ Jugendliche konnten in kirchlichen Räumen offen über ihr Leben die DDR reden. Der Jungdiakon Auerbach hielt die Hand über seine Schützlinge, wenn die Kirchenleitung das nonkonforme Treiben nicht länger dulden wollte. Eine Keimzelle der Bürgerbewegung entstand damals in Jena, und die SED schaute nicht lange zu. Als Auerbach 1976 gegen Wolf Biermanns Ausbürgerung protestierte, sperrte man ihn kurzerhand für ein Jahr ins Gefängnis. Er habe, „den realen Sozialismus durch einen demokratischen Sozialismus“ ersetzen wollen, hieß es in Auerbachs Stasi-Akte. Anschließend wurde Auerbach nach West-Berlin ausgebürgert.

Zwanzig Jahre später sitzt Thomas Auerbach im CDU-Hauptquartier unter einem Adenauer- Porträt. Ein junger Sprecher hat Journalisten eingeladen, um mit Auerbach für die CDU zu werben. „Herr Auerbach wird auch etwas über seine Vergangenheit erzählen“, lockt der Sprecher. Doch Auerbach warnt erst einmal vor jeder möglichen Zusammenarbeit mit der „PDS und ihren Vorfeldorganisationen“.

In Jena versteht man Herrn Auerbach nicht. „Der Thommy muß alles vergessen haben, was er uns früher erzählt hat“, sagt Thomas Grund, den sie in der Jungen Gemeinde „Kaktus“ nannten. Ein anderer hieß „Plase“. Und Thomas Auerbach „Thommy“. In den 70er klangen nicht nur die Spitznamen der Jenenser Jugendlichen verwegen. Das Rebellentum der Langhaarigen unter dem Dach einer Kirche „ohne Missionierungsanspruch“ war den Behörden von Anfang an verdächtig. „Politisiert wurden wir aber erst durch Thommy“, erzählt Grund. Die erste Ton- Steine-Scherben-Platte habe Auerbach mit in die offene Arbeit gebracht. „Werkstätten“ nannten die Jenenser damals ihre politischen und religiösen Seminare. Die Werkstätten von Thomas Auerbach waren immer sehr gut besucht. Eine hieß: „Wie lese ich richtig Zeitung?“ „Da hat Thommy uns gezeigt, wie die ganze Manipulation in der DDR funktioniert“, erinnert sich Grund. Auerbachs Konzept, die DDR von links zu überholen, war rasch angesagt bei den unzufriedenen Jungen im Arbeiter-und-Bauern-Staat. 1975 trafen sich Tausende zum Landesjugendsonntag der Thüringer Kirche. Fast eine kleine Bewegung.

Nach der Ausbürgerung hat Auerbach in der Berliner (Grün-)Alternativen Liste gearbeitet und über Jahre Unterstützung für die „Freunde in Jena“ organisiert. Seine zwei Kinder, die in der DDR bleiben mußten, konnte er nur selten im sozialistischen Ausland treffen. Als die Mauer fiel, eilte er sofort zurück nach Jena und arbeitete bei den Stasi-Auflösern mit, als wäre er nie fort gewesen. „West-Berlin war für mich nie mehr als Exil“, sagt Auerbach. Doch Jena hat sich verändert. In der Jungen Gemeinde organisieren Pfarrer und Jugendliche heute Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und Gewalt in Lobeda, einem Stadtteil mit Plattenbauten. „Unsere Themen gehen aber an Thomas völlig vorbei. Der ist immer noch bei der Stasi-Debatte“, sagt Lothar König, heute Sozialdiakon in Jena und quasi Auerbachs Nachfolger.

In der Tat beschäftigt sich der Jugendarbeiter Auerbach heute beruflich mit alten Akten. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gauck-Behörde. „Die vielen Akten hier geben schon ein gutes Bild der DDR“, sagt Auerbach, als könne man das Leben in der DDR tatsächlich durch die Augen und Ohren der Spitzel erfassen. Es läßt ihn nicht los, das verfluchte Ministerium für Staatssicherheit. Sein Superintendent, sein betreuender Oberkirchenrat, sein Anwalt – alle hätten sie ihn damals an die Stasi verraten, sagt Auerbach. Zum Heulen, soviel Schändlichkeit. Aber Thomas Auerbach weint nicht öffentlich. Er arbeitet ab – schreibt über geplante Internierungslager in der DDR, forscht für ein „MfS-Handbuch“, analysiert einzelne Abteilungen der Krake. „Forschung kann man nicht mit Schaum vor dem Mund betreiben“, sagt Auerbach. Dennoch läßt er jeden Tag den verhaßten Mauerstaat auferstehen. Nicht nur in seinem Arbeitszimmer im ehemaligen DDR-Kulturministerium. Nicht nur auf seinen Vorträgen in ganz Deutschland. Wenn er lachen will, liest er Thomas Brussigs „Helden wie wir“, eine Satire über Leben in der DDR. Ins neue Buch von Jürgen Fuchs hat er fünfzig kleine, gelbe Zettel geklebt. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Buch mit dem Titel: „Wo gestern heute ist.“

Thomas Auerbach sagt, er fürchte, Grüne und Sozialdemokraten werden die SED-Nachfolger hoffähig machen. Da sei er dagegen und die CDU auch. Andere haben ihn enttäuscht: „Jahrelang haben wir vergeblich die Solidarität bei den Linken eingefordert.“ Überhaupt würden sich „die besserverdienenden Linken mehr für Florenz als für Leipzig interessieren“. Auch das ist in Auerbachs Augen Verrat. Als hätte er noch nicht genug davon erlitten.