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Der Mufti und Napoleon

Die offene islamische Gesellschaft und ihre Feinde: Selbst an der amerikanischen Privatuniversität in Kairo werden Bücher zurückgezogen, weil sie religiöse Gefühle verletzen. Dabei ist es nur ein Zufall, der die Maschinerie islamistischer Gekränktheit in Gang setzt  ■ Von Sonja Hegasy

Die Amerikanische Universität von Kairo ist in einem altehrwürdigen Gebäude mitten im hektischen Zentrum der Stadt untergebracht. Hier studieren die Kinder der Reichen und Schönen, der Konservativen und Progressiven, der Regierung und der Opposition. Selbst die Leute, denen die Universität immer schon ein imperialistischer Dorn im Auge war, schicken ihre Kinder dorthin. Insbesondere seitdem die angesehene Amerikanische Universität von Beirut durch den Bürgerkrieg den Unterricht einstellen mußte, waren eine Reihe von Professoren nach Kairo gekommen und hatten hier ihre Vorlesungen fortsetzen können. Doch die Universität muß auf der Hut sein, um nicht in den Ruf einer kulturimperialistischen oder gar zionistischen Vorhut zu kommen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind seit jeher strikt.

Nun ist die Universität Zielscheibe einer billigen Polemik gegen den französischen Orientalisten Maxime Rodinson geworden. Rodinson, der zu den Doyen der europäischen Islamwissenschaft und Religionssoziologie zählt, veröffentlichte 1961 ein Buch über die historische Figur und das Leben des Propheten unter dem einfachen Titel „Mohammed“, in dem der dezidierte Marxist zeigen wollte, daß der Koran keineswegs das Wort Gottes ist, sondern das Werk eines Mannes, dessen Ideale die Zeichen seiner Zeit widerspiegeln.

Seitdem steht das Buch in den Bibliotheken amerikanischer Universitäten, und seitdem ist es Teil des angloeuropäischen Kanons der Islamwissenschaft. Ein junger französischer Historiker der Amerikanischen Universität bat seine Studenten, einen kritischen Essay zu verfassen. Doch eine Studentin fühlte sich in ihren religiösen Gefühlen angegriffen und schrieb zusammen mit 46 ehemaligen Studenten der Amerikanischen Universität eine Petition gegen das Buch, die kurz darauf in die Hände des renommierten Kolumnisten der halbamtlichen Tageszeitung al-Ahram, Salah Montasser, gelangte. Unter dem Titel „Ein Buch, das gestoppt werden muß“ wertete Montasser das Werk als eines der schlimmsten Bücher, die je über den Islam geschrieben wurden. Er zitiert den Autor Maxime Rodinson mit einer Analyse des Sexuallebens des Propheten und den daraus resultierenden Neurosen, die angeblich Ursprung des Islam seien. Mohammed hätte die ältere Witwe Khadija nur geheiratet, um der Armut zu entkommen, aber sexuell sei er nicht von ihr befriedigt worden. Aus diesem Grund habe ihm sein Unterbewußtsein die Verse des Koran eingegeben.

Offensichtlich ist Rodinsons Biographie des Propheten stark von Freud sowie Lacan beeinflußt. Rodinson macht wie Lacan die Psychonanalyse für die literarische Kritik fruchtbar. Im islamischen Selbstverständnis kann man das Wort Gottes aber keiner literarischen Kritik unterziehen.

Nun schaltet sich der Wissenschaftsminister ein, um das Buch zu verbieten. Salah Montasser ist zufrieden und berichtet erfreut über seinen persönlichen Erfolg. Er bedankt sich artig beim Minister im Namen von Millionen Ägyptern. Auch der Kairoer Mufti mischt sich ein und schimpft Rodinson einen Lügner und Ungläubigen, obwohl dieser schon Ende der sechziger Jahre mit allen Ehren an der religiösen Hochschule al- Azhar in Kairo empfangen worden war, um über sein Hauptwerk zum Thema „Islam et le capitalisme“ (1966) aus marxistischer Sicht zu referieren.

Aber das ist nur der Beginn einer Polemik gegen die Amerikanische Universität und die beiden Franzosen. Nun nämlich tritt die islamistische Maschinerie in Kraft, die die angeblich logische Gleichung aufstellt: Alle Orientalisten sind Juden, alle Juden sind Zionisten; Roger Garaudy darf seine Meinung zum Holocaust in Frankreich, im Land der großen Meinungsfreiheit, nicht sagen, aber jeder Hundesohn darf unsere Religion verunglimpfen. Im Jahr des umstrittenen Jubiläums der 200jährigen Eroberung Ägyptens durch Napoleon Bonaparte fragt die islamistische Zeitung al- Schaab, ob Maxime Rodinson und der junge französische Wissenschaftler wohl nur die kolonialistische Mission Bonapartes fortsetzen wollen. In großen Lettern prangern sie den französischen Lehrbeauftragten namentlich als Persona non grata an und fordern seine Ausweisung. Dies ist in einem Land, in dem säkulare Intellektuelle tätlich angegriffen werden, eine ernsthafte Bedrohung. In der verqueren islamistischen Logik hat die Auswahl des Lehrstoffes auch noch mit der aktuellen amerikanischen Diskussion zu tun, ob man Ägypten die Entwicklungshilfe kürzen solle, da hier die religiöse Minderheit der koptischen Christen verfolgt werde. Denn was das Ausland wirklich wolle, sei die Nation zu spalten.

Die Zeitung fordert die Amerikanische Universität auf, sich öffentlich zu entschuldigen. Und die Amerikanische Universität knickt ein. Sie läßt in der englischsprachigen Ausgabe der wichtigsten ägyptischen Zeitung erklären, daß das Buch nicht mehr gelehrt werden wird und man niemanden habe beleidigen wollen. Und das nachdem die Universität letztes Jahr „the year of liberal education“ gefeiert hat. Nun kann man das Buch in Kairo weder im Buchhandel noch in irgendeiner Bibliothek erhalten; selbst das Centre Culturel Français nimmt es in aller Stille aus seiner Bibliothek.

Der Kampf, der hier ausgefochten wird, ist einer der Dreh- und Angelpunkte der zeitgenössischen arabischen Philosophie. Die Diskussion dreht sich um die individuelle und rationale Auslegung sakraler Texte. Das vorgeschriebene Interpretationsraster der religiösen Gelehrten hat natürlich auch Konsequenzen für die Politik von heute. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der politischen Urteilskraft des Individuums und dessen Freiheit, eigene Interpretationen von historischen und damit auch von zeitgenössischen Ereignissen vorzunehmen. „Selber denken“ heißt das explosive Stichwort. Es ist typisch für die Manier, in der sich der Mufti von Kairo einschaltet, daß die Studenten für ihn zu jung und unreif sind, um eine Auseinandersetzung über das Leben des Propheten zu führen. Der französische Historiker hätte besser mit ihm und seinesgleichen diskutieren sollen, lautet sein guter Rat.

Die einstige Marxistin Farida Naqash greift den Fall auf, um endlich eine Reform des Amtes des Muftis zu fordern. Es gehe nicht an, daß jedes religiöse Buch zuerst vom Mufti abgesegnet werden müsse, bevor die Öffentlichkeit Zugang erhalte, wie jetzt in einem neuen Gesetzentwurf vorgesehen. Auch andere Intellektuelle schalten sich ein und fragen nach der Zukunft der ägyptischen Bildungspolitik unter solchen Bedingungen. Hier zeigt sich der Wandel in arabischen Gesellschaften exemplarisch: Auf der einen Seite gibt es die althergebrachten Institutionen, wie das Amt des Rechtsgelehrten oder die al-Azhar-Universität, die auch zu allen weltlichen Fragen Stellung beziehen und ihre Macht nicht teilen wollen. Auf der anderen Seite stehen reformorientierte Denker, die sich für eine weniger konformistische Gesellschaft einsetzen.

Die Studenten der Amerikanischen Universität unterstützen ihren Lehrer. Sie wollen sich mit dem auseinandersetzen, was im Westen als Standardwerk über den Islam gilt. Es wird heftig diskutiert, und immer wieder bekunden Studenten ihre Solidarität. Schließlich wird auch ihre Aufnahmefähigkeit in Zweifel gezogen. So wundert sich ein Student: „Und wir sind angeblich die Leute, die dieses Land einmal regieren sollen.“ Tatsächlich ist die Solidarität der ägyptischen Studenten viel größer als die der ausländischen Organisationen. Die französischen diplomatischen Organisationen geben sich distanziert und freuen sich, daß der Skandal an der Amerikanischen Universität stattgefunden hat. Die Amerikanische Universität selbst will vor allem eins: aus den Schlagzeilen bleiben.

Unverständlich an dieser Geschichte ist, warum sie von einer halbamtlichen Zeitung initiiert wurde. Manche deuten den Vorfall als offenen Affront gegen den Präsidenten. Nach Fällen wie dem des ägyptischen Literaturprofessors Nasr Hamid Abu Zeid, der inzwischen im Exil in Holland lebt, durfte es der ägyptischen Regierung nicht daran gelegen sein, Schlagzeilen mit Bücherverboten zu machen. Und wenn es sich dabei um international renommierte Bücher oder Autoren handelt, muß sie mit Schlagzeilen rechnen. Auch kann es kaum im Interesse der Regierung sein, daß zur gleichen Zeit, zu der Mubarak mit hundert ägyptischen Geschäftsleuten auf Staatsbesuch in Paris weilt, eine bekanntermaßen islamistische Zeitung titelt: „Die verachtenswerten Franzosen ... in der Amerikanischen Universität“. Darauf reagiert man hierzulande sehr sensibel; auch an der französischen Botschaft. Und sollte eine Regierung versuchen, auf der islamistischen Klaviatur zu spielen, wird sie immer wieder von rechts überholt werden.

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