: Was die Trasse schadet
■ Warum das Hollerland einzigartig ist und wer das nicht wissen will
Inmitten der wogenden Wiesen, den Blick auf die von andernorts seltenen Krebsscheren zugewachsenen Entwässerungsgräben, ist die Meinung leicht gefaßt: „Ich bin dagegen, das Hollerland zu bebauen“, betont Hans Kretzschmar. „Aber die Trasse, diese 700 Meter vom Knick des Autobahnzubringers bis nach Lilienthal....“ Der Arzt sagt, was viele in Bremen denken.
Weil er das auch in einem Leserbrief geschrieben und die Ruhe der Anwohner an der Lilienthaler Heerstraße über den Naturschutz gestellt hatte, lud der alte Hüter des Hollerlandes, Gerold Janssen, den Arzt und andere Interessierte zur Führung durch das Gebiet ein. „Die Natur sprechen lassen“, das ist die Strategie, mit der die Naturschützer in diesem Jahr elf andere Gruppen von der Einzigartigkeit genau dieser 400 Hektar zwischen Lilienthaler Heerstraße und Kuhgrabenweg zu überzeugen versuchten.
Tenor: Erstmal würden Brutvögel in zweihundert Meter Breite beiderseits der Straße vertrieben. Und auch ein Teileingriff zerstöre das ganze vernetzte System des Hollerlandes. Außerdem sei eine Straße nur der erste Schritt für Gewerbe-Hallen und Wohngebäude. Allerdings, klagt Janssen über den „Werteverfall“, das Interesse an der Natur habe abgenommen. Als es 1989 um das Pro und Contra einer Teilbebauung ging, habe er 30 Führungen gemacht.
Der besondere geologische Standort und historische Entwicklungen machten eben genau das „Leher Feld“ zu dem Areal mit den meisten gefährdeten Pflanzenarten in Bremen, erklärt der Biologieprofessor Hermann Cordes. In der Nordost-Ecke des Hollerland-Vierecks steigt salzhaltiges Grundwasser auf, das sich mit einer gemächlichen Geschwindigkeit von wenigen Metern im Jahr in die Gräben des Hollerlandes verteilt.
In diesem mineralhaltigen Wasser gedeihen seltene Pflanzen, auf ihnen leben Insekten, die von Kiebitzen, Uferschnepfen und Bekassinen gefressen werden. Mit einer tief ausgekofferten Autotrasse wäre dieser Fluß unterbrochen, die Bedingungen im ganzen Feuchtgebiet würden sich verändern.
Das zweite große Plus des Hollerlandes ist die dort seit Jahrzehnten nur extensiv betriebene Landwirtschaft. „Das Hollerland war sozusagen GEWOBA-geschützt“, flachst Cordes. Nachdem in den 60er Jahren die Neue Heimat (Vorgängerin der GEWOBA) unter ihrem Chef, dem SPD-Bonzen Richard Boljahn, den Bauern das Land abgekauft hatte, um eine Trabantenstadt „Klein Amsterdam“ in den wässrigen Grund zu setzen, flogen die halbseidenen Umstände dieser Deals auf. Die Wohnungsgesellschaft saß auf dem Gelände, konnte die Flächen nur noch verpachten. Also sparten die Bauern Dünger, säuberten die Gräben nicht mehr und ließen nur wenige Rindviecher auf die Weiden.
Erst als der Naturschutz schon eine politische Rolle spielte, Ende der 70er Jahre, kamen neue Bebauungspläne, die aber mit Hinweis auf die vielen seltenen Pflanzen und Vögel gutachterlich abgesichert abgeschmettert wurden. Das Gebiet kam unter Naturschutz.
Der ob der Unverträglichkeit der Trasse weiterhin skeptische Arzt suchte den Kompromiß: Man könne die Straße doch auch „naturschutzmäßig“ bauen, etwa auf Stelzen, so sein Vorschlag. Der Mann hat sich wenigstens das Objekt der Planer-Begierden angeschaut und die Argumente der Janssen & Co angehört. Wichtige Entscheidungsträger nicht: Die CDU-Senatoren Josef Hattig („Ich fahre da immer Rad“, hat er laut Janssen gesagt) und Hartmut Perschau („Sowas gibt es doch auch weiter westlich im Blockland“) haben die Einladung abgelehnt. Wirtschaftsstaatsrat Frank Haller wollte sich nicht mit einem „Illegalen“ treffen.
Aber CDU-Fraktionschef Ronald-Mike Neumeyer war da, wie es heißt, auf sanften Druck seiner Ehefrau. Nach seiner Aussage „Dann sollen die Vögel halt ein paar Meter weiterfliegen“, kam er an einem Tag im Mai sogar im strömenden Regen angeradelt, um von Gerold Janssen etwas übers Hollerland zu lernen. Joachim Fahrun
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