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Auf (k)einem Straßenschild

Nein, nicht alle Frauen gruppieren sich um Männer: Claudia von Gélieu stellte ihr Buch „Wegweisende Neuköllnerinnen“ im Heimatmuseum Neukölln vor  ■ Von Katrin Schings

Es sah so aus, als würde der Mittwoch abend der dritte Novemberabend im Juni in Folge. Die Präsentation von Claudia von Gélieus Buch über „Wegweisende Neuköllnerinnen“ konnte deshalb nicht in dem idyllischen Garten des Heimatmuseums des schlimmen Neukölln stattfinden, sondern wurde nach drinnen verlegt. Gegen 20 Uhr kam die Sonne aber endlich hell heraus.

Der Anlaß für Claudia von Gélieu und ihre Mitarbeiterinnen, das Buch „Wegweisende Neuköllnerinnen“ zu schreiben, war 1996 die Benennung von zwanzig Straßen und Plätzen in einem Neubauviertel Neuköllns, der Gartenstadt Rudow (so die offizielle Bezeichnung) nach bedeutsamen Neuköllnerinnen. Bezeichnend war auch, was die Frauenbeauftragte Neuköllns, Renate Bremmert, in ihrer Eingangsrede erwähnte.

Einige Herren der Bezirksverordnetenversammlung hätten es lieber gesehen, wenn die Plätze nach Männern und nur die Straßen nach Frauen benannt würden, „weil Frauen sich doch immer um Männer herumgruppieren“. Diese Fraktion konnte sich letztlich aber nicht durchsetzen. Die Wahl der Frauennamen fiel schwer, denn Neukölln war und ist der größte Stadtbezirk Berlins und entsprechend viele ungewöhnliche Neuköllnerinnen gibt es in seiner Geschichte. Man muß nur mit Ausdauer nach ihnen suchen. Eine der Frauen, deren Name auch heute kein Straßenschild schmückt, ist Olga Benario. Ihren Lebensweg beschreibt Claudia von Gélieu trotzdem. Olga Benario leitete Mitte der zwanziger Jahre den Kommunistischen Jugendverband Neuköllns. Sie war schön, klug und mutig. „Manche Jungen sind nur wegen ihr in den KJV eingetreten“, gesteht ein alter Genosse der Autorin.

1926 werden Olga Benario und ihr Freund Otto Braun festgenommen. Sie kommt schnell wieder frei, aber Braun droht eine mehrjährige Haftstrafe. Olga Benario organisiert seine Befreiung. Über Brasilien kommt sie wieder nach Deutschland, wo die jüdische Kommunistin 1942 vergast wird. Fernando Morais erzählt Olga Benarios Leben in dem Roman „Olga“, die bayrische Dramatikerin Dea Loher hat über „Olgas Raum“ geschrieben: die Folterkammer. Und in Neukölln gibt es immerhin die Galerie Olga Benario. Einen Straßennamen aber ist Olga Benario dem Bezirk nicht wert.

Als bekannter gilt da Helene Nathan, die im Frauenviertel auch prompt einen Weg bekommen hat. Von 1921 bis 1933 leitete Helene Nathan die Neuköllner Volksbibliothek, die sich damals in den Räumen des heutigen Heimatmuseums neben dem Ganghofer-Hallenbad befand. Einmal in der Woche ging man duschen und anschließend lieh man sich ein Buch aus. Helene Nathan engagierte sich sehr für die Volksbildung, wurde 1933 aber fristlos gekündigt und brachte sich nach elend verbrachten Jahren 1940 um. Heute befindet sich die Helene-Nathan- Bücherei in einem Nebengelaß der alten Schultheiß-Festsäle in der Hasenheide.

Das Buch von Claudia von Gélieu umfaßt den Zeitraum von 1912 bis nach 1945 und ist thematisch in Medizin, Bildung, Widerstand (oder auch nicht) usw. geordnet. Es profitiert von dem Nebeneinander von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen und den Detailinformationen von Zeitzeuginnen. Einige der alten Damen waren zu der Lesung gekommen, sie machten die Atmosphäre des Abend besonders herzlich.

Claudia von Gélieu: „Wegweisende Neuköllnerinnen. Von der Britzer Prinzessin zur ersten Stadträtin“. trafo verlag dr. wolfgang weist, Berlin 1998. Bis 30. Juni: 24,80 Mark, danach 29,80 Mark

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