: Zahnloses Frühwarnsystem
Vor 25 Jahren begann in der Bundesrepublik Deutschland die Debatte über die Errichtung eines Instituts für Technikfolgenabschätzung. Mittlerweile gibt es eine Fülle von Forschungseinrichtungen, die sich mit den Folgen und Gefahren des Fortschritts beschäftigen. Heutzutage sollen Expertenrunden vor allem den Nutzen der Technik prüfen. Denn als Frühwarnsystem taugen die Gremien ohnehin nicht – dazu arbeiten sie zu träge. Eine Bilanz ■ Von Wolfgang Löhr
Vergangene Woche wurde in Bonn ein „kleines Jubiläum“ gefeiert. Vor genau 25 Jahren begann in Deutschland die Debatte über eine institutionalisierte Technikfolgenabschätzung (TA). Eingeladen hatte das Institut für Technikfolgenabschätzung (ITAS) des Forschungszentrums Karlsruhe, dessen Leiter, Professor Herbert Paschen, maßgeblich an der TA-Entwicklung beteiligt war. Ein „Frühwarnsystem“, so die ursprüngliche Intention, sollte Politiker und Entscheidungsträger über bedenkliche und risikobehaftete Technologieentwicklungen informieren und sie in die Lage versetzen, noch rechtzeitig gegenzusteuern. Während in den Vereinigten Staaten vor wenigen Jahren das Vorbild der parlamentarischen Technikberatung, das Office of Technology Assessment (OTA), mangels Zuschüssen zum Aufgeben gezwungen war, verfüge die Bundesrepublik Deutschland inzwischen über eine „reichhaltige und gut ausgestattete TA-Landschaft“, bilanziert Professor Meinolf Dierkes vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) auf einer Wissenschaftspressekonferenz in Bonn.
Das Spektrum reicht vom Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), der Stuttgarter Akademie für Technikfolgenabschätzung über ein Fülle von außeruniversitären Forschungseinrichtungen bis hin zu den Programmen einzelner Landesregierungen. Das Scheitern des amerikanischen OTA habe die Entwicklung der Technikfolgenabschätzung in Deutschland nicht beeinflußt, sagt Herbert Paschen. Im Gegenteil: Sie sei „vital“. „Dies gilt auch für andere europäische Länder“, so Paschen, „Europa hat die Führungsrolle im TA-Bereich übernommen“.
Am Beginn der TA-Debatte stand ein Gesetzentwurf zur Einrichtung eines parlamentarischen Amtes, das technologische Entwicklungen bewerten sollte. Der 1973 von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachte Gesetzentwurf setzte eine jahrelange Diskussion über Sinn und Notwendigkeit eines „technologischen Beratungsgremiums“ in Gang. Es war die Zeit, als der Wunsch nach einer „gesellschaftsorientierten Techniksteuerung“ laut wurde, berichtet der Wissenschaftssoziologe Dierkes. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre habe sich die „Technikbegeisterung der ersten Nachkriegsjahrzehnte“ in eine ambivalente und kritische Haltung gewandelt. Zwei parlamentarische Enquetekommissionen beschäftigten sich mit der Thematik. Doch erst viele Jahre später, 1990, wurden dann mit der Einrichtung der Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages (TAB) Fakten geschaffen.
„Das TAB kann, obwohl es nach einer dreijährigen Konzeptphase erst vor fünf Jahren langfristig installiert wurde, auf eine Anzahl erfolgreich abgeschlossener Projekte und Studien zurückblicken“, berichtet die forschungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Edelgard Bulmahn, auf der Bonner Jubiläumsfeier. Das TAB, das für die „Verbesserung der Informationsgrundlagen“ der Parlamentarier zuständig ist und Handlungsempfehlungen erarbeiten soll, wird vom Karlsruher ITAS auf der Grundlage eines Vertrages mit dem Bundestag betrieben.
Die Mitarbeiter unterliegen jedoch keinerlei fachlichen Weisungen des Karlsruher Instituts. Das TAB ist lediglich dem Bundestagsausschuß für Forschung und Technologie rechenschaftspflichtig. Der Ausschuß bestimmt auch, welche Projekte durchzuführen sind. In den vergangenen Jahren beschäftigte sich das TAB mit Themen wie Wasserstoffeinsatz, Hausmüllentsorgung, Umwelttechnik und wirtschaftliche Folgen, Biologische Sicherheit sowie Genom- Analyse. Maßgeblich beteiligt war das TAB daran, das milliardenteure Raumtransportsystem Sänger zu Fall zu bringen.
Nicht nur das TAB, sondern insgesamt die Technikfolgenabschätzung steht vor zwei grundsätzlichen, unlösbaren Problemen. Zum einen kommt sie fast immer zu spät. Sie rennt der technischen Entwicklung hinterher. Bis die zum Teil bis zu zwei Jahre dauernden Studien abgeschlossen sind, ist die Entwicklung einer neuen Technologie häufig schon so weit vorangeschritten, daß sie nicht mehr aus der Welt geschafft werden kann. Das war bei dem Projekt zur Genom-Analyse so und ebenso bei den Fragen zur Biologischen Sicherheit.
Zur Zeit etwa läuft das TA-Projekt „Klonen von Tieren“, das bis Ende des Jahres abgeschlossen sein soll. Anlaß war das 1997 in Großbritannien geklonte Schaf Dolly. Dabei müßte allen Beteiligten klar sein, daß das Klonen zumindest von Tieren – sollte es auch unerwünscht sein – nicht mehr aufzuhalten ist.
Das andere Problem, das den TA-Institutionen zu schaffen macht, sind die mangelnden Einflußmöglichkeiten bei den Entscheidungsträgern. Denn was bringt es, wenn zum Beispiel der TAB-Bericht „Biotechnologien für die Dritte Welt“ zu dem Schluß kommt, daß Patent- und Sortenschutzgesetze Ausnahmeregelungen für arme Entwicklungsländer enthalten sollen. Oder daß zur Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung vorrangig angepaßte Technologien für die Entwicklungsländer gefördert werden sollen. Diese Empfehlungen stoßen bei der Mehrheit der Politiker auf taube Ohren.
„Forschung zu Technikfolgenabschätzung ist angetreten, bessere Entscheidungsgrundlagen für das Management des technischen Fortschritts zu bieten“, erläutert Dierkes. Dies bedeute, es gibt ein „klares politisches Ziel“. Aber wie groß ist der Einfluß der TA auf die Politik tatsächlich? „Hier muß deutlich gesagt werden, daß das bislang Erreichte im großen und ganzen äußerst unterdurchschnittlich, gemessen an den Erwartungen und Hoffnungen zu Beginn der TA-Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland, ist“, resümiert der Wissenschaftssoziologe. Als Lösung empfiehlt er, die ursprünglichen Vorschläge für eine TA aus der Schublade zu holen. Das erste Konzept sah „nicht die Einrichtung eines Büros, sondern eine gleichsam auf Dauer gestellte Enquetekommission für unterschiedliche Technikfelder vor, in der Abgeordnete und Sachverständige zusammenarbeiten“, sagt Dierkes.
Die Kritik will der Leiter des TAB, Professor Paschen, so nicht hinnehmen. „Die Erfolgsbilanz der TA- Praxis ist keineswegs so schlecht, wie von manchen Kritikern behauptet wird“, widerspricht er. Gerade im Bereich der Politikberatung gebe es zahlreiche Beispiele für Projekte, die im Hinblick auf die Umsetzung ihrer Ergebnisse sehr erfolgreich gewesen seien.
Ein positives Ergebnis ist für Paschen auch, daß die TA in den letzten Jahren weiterentwickelt wurde. Sie habe „sich in den vergangenen Jahren von einem vorwiegend auf negative Nebenwirkungen von Techniken ausgerichteten Frühwarninstrument weiterentwickelt zu einem Instrument, das auch – und vorwiegend – der Analyse der Potentiale und Chancen der Technik“ diene.
Die Industrievertreter werden es gern hören. Denn gerade bei der Biotechnologie versuchen sie seit längerem schon, den Nutzen und die Vorteile gentechnisch hergestellter Produkte in den Vordergrund zu stellen.
Unterstützung erhält Paschen auch von Edelgard Bulmahn, die als SPD-Forschungsministerin gehandelt wird. Es gehe bei der TA heute zunächst darum, sagt Bulmahn, „besser erkennen zu können, welche Möglichkeiten sich aus einer neuen Technik überhaupt ergeben, sowohl in negativer wie aber auch besonders in positiver Hinsicht“.
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