: Räume gegen das Vergessen
■ Der Stararchitekt Daniel Libeskind hat in Osnabrück als Erweiterung des kulturgeschichtlichen Museums ein Museumsgebäude für den in Auschwitz ermordeten Maler Felix Nussbaum gebaut / Eröffnet wird das Haus mit einer großen Ausstellung am 16. Juli
Durch seinen Entwurf für das Holocaust-Mahnmal und den Bau des Jüdischen Museums in Berlin ist Daniel Libeskind seit Monaten in aller Munde. Doch während das Jüdische Museum erst im nächsten Jahr öffentlich zugänglich sein wird, hat Libeskind, abseits des Medienrummels um seine prestigeträchtigen Berliner Objekte, das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück errichtet. Der Neubau wird ab Mitte Juli als Eröffnungsausstellung 45 Bilder – darunter zehn, die bisher noch nicht öffentlich zu sehen waren – des 1904 in Osnabrück geborenen und 1944 in Auschwitz ermordeten jüdischen Malers Felix Nussbaum zeigen. Die Nussbaum-Sammlung, die 150 Bilder umfaßt, soll dort später als Dauerausstellung präsentiert werden.
Der Künstler hat in seinen Bildern eindrucksvoll die aus der Bedrohung des Nazi-Terrors resultierende Angst festgehalten. Das als Erweiterungsbau des Kulturgeschichtlichen Museums der Stadt Osnabrück konzipierte Felix-Nussbaum-Haus besteht aus den drei Elementen „Nussbaum-Gang“, „Nussbaum-Haus“ und „Nussbaum-Brücke“, die sich im Entwurf von Daniel Libeskind zu einem dreieckig angelegten Ensemble verbinden, das auch die schon vorhandenen historischen Gebäude des Museumskomplexes am Heger-Tor-Wall in einen neuen räumlichen und funktionalen Zusammenhang bringt: Während der Bau des Kunsthistorischen Museums durch die Brücke Anschluß an den Neubau erhält, bleiben das sogenannte Akzisehaus und die Volkskundliche Sammlung in der Villa Schlikker, die 1933 Parteisitz der NSDAP geworden war, nur locker um das Dreieck des Nussbaum-Hauses gruppiert, ohne dabei ihren gewohnten freistehenden Charakter zu verlieren.
Schon bei den ersten Erdarbeiten zur Grundstückserschließung stieß man auf Reste der alten Stadtbefestigung und insbesondere auf eine in ihrer Substanz vollständig erhaltene, dreibogige Steinbrücke von 1671. Der Architekt hat daraufhin seinen bereits genehmigten Entwurf noch einmal bearbeitet und die Bogenbrücke in die Eingangssituation des neuen Museums integriert. Einschließlich der angefallenen Restaurierungsarbeiten belaufen sich die Baukosten des Felix-Nussbaum-Hauses damit auf 14,4 Millionen Mark.
Von der Altstadt her kommend, ist das neue Haus zunächst kaum zu sehen. Statt sich offen zur Schau zu stellen, verbirgt sich der nahezu bunkerartige Bau hinter der Fassade des Kulturgeschichtlichen Museums. Schon hier beginnt ein Prozeß des Suchens, der programmatisch das gesamte Gebäude wie ein roter Faden durchzieht und dabei nicht zuletzt auch auf die geschichtliche Bedeutung des Ortes verweist: In unmittelbarer Nähe des neuen Museums befand sich die alte Synagoge, deren imaginäres Nachbild noch als unsichtbarer Schatten den Ort prägt.
Ebenso verschlossen zeigt sich schließlich auch die Fassade des Nussbaum-Gangs, die das tragische Leben Nussbaums als eine monumentale leere Leinwand aus Beton beschreibt. Anders als in Berlin aber, wo von außen kein Weg in das Jüdische Museum hineinführt und die Erschließung stattdessen über eine unterirdische schräge Rampe erfolgt, erreicht der Besucher in Osnabrück den Museumskomplex über einen Stahlbausteg, der vom Akzisehaus über die wiederentdeckte historische Bogenbrücke führt.
Als reizvolle Verbindung zwischen Alt und Neu bildet die Brückensituation nicht nur ein formales Pendant zur neuerrichteten Nussbaum-Brücke gegenüber, sondern verweist auch auf die historische Dimension des Neubaus: „Das Felix-Nussbaum-Haus ist nicht allein ein Testament eines unbeschreiblichen Schicksals“, schreibt Daniel Libeskind, „in ihm entsteht ein bedeutsamer Ort für die Begegnung von Zukunft und Vergangenheit. Die ungemalten Bilder Felix Nussbaums erfordern nichts weniger als ihr Sichtbarwerden vor nachdenklichen Augen.“ Im Inneren des Museums gelangt der Besucher zunächst in den sogenannten Nussbaum-Gang, eine langgezogene, korridorartige Rampe aus Sichtbeton, deren Boden steil ansteigt. Hier sollen demnächst auf zwei Ebenen die grafischen Arbeiten des Künstlers gezeigt werden. Erst vom Gang aus ist das sich nach Westen hin anschließende, außen mit einer Eichenbrettverschalung verkleidete „Nussbaum-Haus“ zu erreichen, das neben den Hauptausstellungsräu-men für die Nussbaum-Sammlung auch eine Caféteria, eine Bibliothek und einen Vortragssaal beinhaltet. In der oberen Etage ist zudem Raum für Wechselausstellungen vorgesehen. Hier sollen Arbeiten von Künstlern gezeigt werden, die Widerstand und Verfolgung in ihrer Kunst thematisieren.
Der außen schon angedeutete Prozeß des Suchens ist auch im Inneren des Felix-Nussbaum-Hauses wirksam. Der hermetisch wirkende Rhythmus von stumpfen und spitzen Winkeln verwandelt durch Oberlichter ausgeleuchtete Flächen in labyrinthische Passagen, die das Museum von keinem Punkt aus überschaubar erscheinen lassen und statt dessen das fast klaustrophobische Gefühl erzeugen, an kein Ende mehr gelangen zu können. Tageslicht dringt hier beinahe ausschließlich durch die schrägen Fensterschlitze ins Innere.
Zum Abschluß des „Irrgangs“ durch die Sammlung gelangt man schließlich in die außen mit Zinkblech verkleidete „Nussbaum-Brücke“, die als schwebendes Verbindungselement zwischen dem neuerrichteten Felix-Nussbaum-Haus und dem historischen Baukörper des Kulturgeschichtlichen Museums dient. Hier befinden sich weitere Ausstellungsräume für die Sammlung im Mezzanin-Geschoß und Platz für die Wechselausstellungen im Obergeschoß.
So unmittelbar die Entschlüsselung durch die Sinne ist, so verschachtelt gestaltet sich der Subtext der Bedeutungen, die Libeskind auch in Osnabrück in die Lineaturen von Grundriß, Fassade und stadträumliche Situation verwoben hat. Jedes Element der Raumteilung und des programmatischen Gehalts bezieht sich dabei auf das paradigmatische Schicksal Felix Nussbaums, denn dem Entwurf liegt ein System von Netzlinien zugrunde, das die im Leben des Künstlers bedeutsamen Orte Berlin, Auschwitz und Brüssel als architektonische Koordinaten nachzeichnet. Von Libeskind zunächst in grafische Partituren und dann in räumliche Geflechte „übersetzt“, nehmen sie als offene Figur die Spur einer Suche ohne Entdeckung und Ruhepunkt auf und symbolisieren dabei die ständige Bewegung, sowie die aussichtslosen Versuche der Orientierung im Leben von Felix Nussbaum.
Das Nussbaum-Haus soll an dieser Stelle als ebenso greifbarer wie immaterieller Ort wirken, der die Verbindungen zwischen gegenwärtiger und vergangener Geschichte aufzuspüren und zu vermitteln sucht. Zu hoffen bleibt dabei nur, daß der zwischen diesen Polen so mühsam behauptete Ort des Suchens nicht schließlich doch zum Fundort gerät, der den so deutlichen Bruch mit der konventionellen Formensprache der Architektur nur zum strategischen und mediengerechten Ereignis werden läßt und dabei den unmittelbaren Zugang zu den ausgestellten Arbeiten von Felix Nussbaum eher verstellt.
Robert Uhde
Das Felix-Nussbaum-Haus wird am 16. Juli um 16.30 Uhr eröffnet. Es befindet sich neben dem Kulturgeschichtlichen Museum am Heger-Tor-Wall 28. Infos erhält man unter Tel.: 05 41 / 23 22 37
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen