: "Wir sind doch nicht käuflich"
■ Berufsschüler diskutierten mit den Bundestagskandidaten Thierse (SPD), Nooke (CDU), Birthler (Grüne) und Pau (PDS) - und ließen sich nicht einwickeln. Sympathien für rechte Parteien wurden deutlich
Gerade führt Wolfgang Thierse die Vorschläge der SPD zur Drogenpolitik aus, als eine Schülerin dazwischenfährt: „Das sind doch alles leere Versprechungen. Es wird doch nie was gemacht.“ Beifall und zustimmendes Raunen im Saal. Thierse bleibt ruhig. „Politik besteht nicht nur aus Erfolgen“, rechtfertigt er sich. Doch so leicht geben sich die Jugendlichen nicht zufrieden. Solche Sätze empfinden sie als Geschwafel. Und hier sitzen endlich welche, denen sie das unverblümt sagen können. Vier Bundestagskandidaten für den Wahlkreis Prenzlauer Berg/ Mitte – die FDP war nicht erschienen – stellten sich gestern in der Kultur- und Bildungsstätte „Die Wille“ in Kreuzberg den Fragen von gut hundert BerufsschülerInnen.
Wolfgang Thierse und seine Kontrahentinnen Marianne Birthler von Bündnis 90/Die Grünen sowie Petra Pau von der PDS haben es einfacher als Günter Nooke (CDU). Bei allen Vorwürfen versuchen die drei, sich mit ihrer undankbaren Oppositionsrolle herauszureden. Die guten Ideen hätten sie ja – nur leider, leider verhindere die starre Haltung der Regierungskoalition die Umsetzung. Sie präsentieren reihenweise ihre Vorschläge: Ausbildungsabgaben für die Betriebe, mehr Bafög, gerechtere Steuern, mehr Lehrstellen. Ihnen schlägt blankes Mißtrauen entgegen: „Wie wollen Sie das denn finanzieren?“ „Das schaffen Sie doch gar nicht.“
Günter Nooke hat es besonders schwer. Er muß alleine für die gesamte Regierungspolitik der vergangenen acht Jahre geradestehen – und sie verteidigen. Schließlich ist Wahlkampf, und die Kandidaten kämpfen in einem Wahlbezirk, der zu den meistbeachteten der Republik gehört. Also spult Nooke sein Programm ab: Die Steuerreform hätte für Arbeitsplätze gesorgt, wenn sie nicht von der SPD verhindert worden wäre. Die Wirtschafts- und Rentenpolitik der CDU sei Jugendpolitik, 1997 seien 14 neue Ausbildungsberufe geschaffen worden. Und ein Bonbon hat der ehemalige DDR- Bürgerrechtler den BerufsschülerInnen mitgebracht: Zwei Lehrstellen als Werbekaufmann könne er vermitteln. Jetzt fühlen sich die SchülerInnen endgültig verschaukelt. „Herr Nooke, wir haben alle eine Lehrstelle“, klärt ein Schüler unter dem Gelächter des Plenums den Politiker auf. „Wir sind doch nicht käuflich“, regt sich ein anderer auf. Die harsche Reaktion ruft bei Marianne Birthler, die Nooke aus der gemeinsamen Zeit im Brandenburger Bündnis 90 gut kennt, ein genüßliches Lächeln hervor. Sie hat es leichter mit den Jugendlichen, kommt nicht so akademisch daher wie Nooke, fängt eher mal an zu berlinern. Aber auch von ihr lassen sich die jungen Leute – darunter einige Erstwähler – nicht einwickeln. „Wollen Sie den Leuten tatsächlich fünf Mark fürs Benzin abknöpfen?“ Birthler erklärt und schwenkt auf eine Linie ein, die die Politiker an diesem Vormittag besonders gerne fahren: Das Geld, das umverteilt wird, soll natürlich vor allem in Bildung und Ausbildung gesteckt werden.
Doch die SchülerInnen glauben den Politikern nicht. Und werden im Laufe der Diskussion immer mutiger, das auch zu zeigen. Die braven, weil sachlichen Fragen, die sie im Unterricht vorbereitet haben, interessieren nicht mehr. „Warum sind denn hier keine rechten Parteien vertreten?“ fragt ein Schüler. „Schließlich stehen die uns auch näher.“ Das hat gesessen. Gerade zuvor hatte Marianne Birthler das Programm der DVU als „Scheiße“ bezeichnet, jetzt muß sie sich anhören, daß sie damit „13 Prozent Wähler diskriminiert“, wie ein Schüler mit Blick auf die Landtagswahl in Sachsen- Anhalt meint. Die Grünen-Politikerin wehrt sich energisch. Nicht die Wähler, das Programm habe sie gemeint.
In diesem Punkt, der Verdammung der DVU, sind sich die Politiker ganz schnell einig. Die Zuhörer weniger. Warum denn die DVU so gefährlich sei, fragen sie ganz schlicht. Sie haben nur Parolen, keine konkreten Vorschläge, sie sind überhaupt nicht konstruktiv, sondern nölen nur – Thierse und Birthler werden leidenschaftlich. Der SPD-Mann appelliert eindringlich, nicht die extremen Parteien zu wählen. Desinteressierte Gesichter auf der anderen Seite.
20 Prozent der Ost- und 10 Prozent der West-Berliner Auszubildenden würden rechtsextreme Parteien wählen, ergab kürzlich eine Studie der FU. Ein Ergebnis, das sich bei einer Testwahl an diesem Tag bestätigt. Die BerufsschülerInnen wählen zu 47 Prozent SPD, nur vier Prozent CDU, acht Prozent die Bündnisgrünen, aber 13 Prozent die DVU und sieben Prozent die „Republikaner“. So überrascht es nicht, daß die SchülerInnen das Thema Ausländer aufbringen. Einige Maurerlehrlinge regen sich über die vielen ausländischen Bauarbeiter auf den Baustellen auf. Nooke, der Dezember 1996 von den Bündnisgrünen zur CDU wechselte, greift auf die CDU-Sprachregelung zurück: Er bezeichnet Ausländer als Gäste. Aber Gäste gehen doch auch irgendwann wieder, meint ein Schüler. Der CDU-Politiker steigt tatsächlich ein. Deutschland sei kein Einwanderungsland. „Es können nicht alle kommen.“ Fast scheint ihm selbst unwohl zu sein bei diesen Pauschalaussagen, er windet sich. Aber er hält nicht dagegen. Es ist Wahlkampf. Jutta Wagemann
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