■ Rechtschreibreformgegner ziehen Verfassungsbeschwerde zurück: Das Gericht kann gehen
Die RechtschreibrebellInnen versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Nachdem bereits vorab bekannt wurde, daß das Verfassungsgericht ihre Klage am kommenden Dienstag ablehnen will, zogen sie gestern die Verfassungsbeschwerde kurzerhand zurück. Mit einem „fairen Verfahren“ sei nun nicht mehr zu rechnen, hieß es zur Begründung. Mit diesem beispiellosen Schritt hat das (nun nicht mehr) klagende Lübecker Anwaltspaar offensichtlich die Bühne gewechselt. Jetzt wird nicht mehr juristisch argumentiert, sondern politisch, auch gerne mit populistischen Obertönen. Man will Stimmung machen für den schleswig-holsteinischen Volksentscheid am 27. September.
Der Vorwurf des unfairen Verfahrens ist albern – und das wissen auch die AnwältInnen. Natürlich berät das Gericht nicht erst am Morgen vor der Urteilsverkündung, quasi beim Frühstück, wie die Entscheidung ausfallen wird. Vielmehr begannen die Beratungen sofort im Anschluß an die mündliche Verhandlung, die Mitte Mai stattgefunden hat. Sind sich die RichterInnen einig, dann dauert es aber noch einige Wochen, bis die juristischen Zitate überpüft sind und das Urteil getippt und umgedruckt ist. In dieser Nachbereitungsphase gibt es natürlich immer wieder undichte Stellen, die zu Vorabberichten über das kommende Urteil führen. Da das eigentliche Verfahren zu diesem Zeitpunkt aber längst abgeschlossen ist, sind solche Berichte zwar ärgerlich für das Gericht, bieten aber keinerlei Anlaß für den Vorwurf, die RichterInnen hätten sich vorschnell festgelegt.
In Wirklichkeit geht es den KlägerInnen um etwas anderes. Sie fürchten, daß ein Karlsruher Plazet für die Rechtschreibreform die Chancen des Volksentscheides empfindlich schwächen dürfte. Also wollen sie den höchstrichterlichen Spruch, daß alles doch gar nicht so schlimm sei, nach Möglichkeit verhindern. „Das Gericht will seine Schuldigkeit nicht tun, das Gericht kann gehen“, scheint der Wahlspruch der KlägerInnen zu sein.
Das wird das Bundesverfassungsgericht wohl nicht mit sich machen lassen. Vorsorglich wird das Gericht deshalb gleich in die Ecke derer „da oben“ gerückt, gegen die das Volk, auf das wieder mal keiner hören will, per Plebiszit dann endlich aufmucken kann. Man versucht also, die Wirkung des Urteils zu neutralisieren, indem man es schon vorab zum „Skandal“ erklärt.
Das Manöver ist durchsichtig. Erfolg sollte es keinen haben. Christian Rath
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