: Sozialbehörden müssen Daten verpetzen
■ Wer straffällig ist oder den Ämtern viel Geld schuldet, muß künftig damit rechnen, daß Beratungstermine bei Sozialämtern oder Krankenkassen an Polizei und Gerichte weitergegeben werden. Bundesrat bill
Bonn/Berlin (AFP/taz) –Sozialleistungsträger wie Arbeitsämter, Krankenkassen sowie die Sozialämter müssen künftig die Anwesenheit von gesuchten Personen in ihren Amtsstuben auf Polizei-Anfrage melden. Der Bundesrat stimmte gestern einer entsprechenden Änderung des Sozialgesetzbuches zu. Diese Änderung hatte der Bundestag bereits am 18. Juni im Zusammenhang mit dem sogenannten Medizinproduktegesetz beschlossen.
Nach der im Bundestag von Koalition und SPD gegen PDS und bei Enthaltung der Grünen beschlossenen Änderung des Paragraphen 68 im Sozialgesetzbuch Zehn müssen Besucher der betroffenen Sozialbehörden künftig grundsätzlich damit rechnen, daß ihre Beratungstermine an Polizei, Staatsanwaltschaft oder auch an Behörden weitergegeben werden, die „öffentlich-rechtliche Ansprüche in Höhe von mindestens 1.000 Mark“ durchsetzen wollen.
Der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Helmut Bäumler, kritisierte gestern, durch die Gesetzesänderung würden Behörden zu „Außenstellen der Polizei“. Dagegen begrüßte Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) die Neuregelung als Beitrag zum verstärkten Schutz der Bürger.„Niemand will die Sozialbehörden zu Polizeidienststellen machen“, erklärte der für die Sozialhilfe zuständige Minister in Bonn. „Aber alle müssen gemeinsam wollen, daß die Glaubwürdigkeit der Behörden und der Schutz der Bevölkerung gestärkt werden.“
Vor der Entscheidung des Bundesrates zog das rot-grün regierte Hamburg offenbar wegen mangelnder Erfolgsaussichten seinen zuvor angekündigten Antrag zurück, wegen der umstrittenen Ausweitung der Datenweitergabe den Vermittlungsausschuß anzurufen. Nordrhein-Westfalens stellvertretender Ministerpräsident Michael Vesper (Bündnis 90/ Die Grünen) rügte vor der Länderkammer vor allem das Verfahren im Bundestag bei der Verabschiedung des Gesetzes. Die umstrittene Neuregelung des Sozialgesetzbuches sei in der Diskussion über die von allen Parteien befürwortete Neufassung des Medizinproduktegesetzes „versteckt“ worden.
Der Bundestag hatte der umstrittenen Neuregelung in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause im Zusammenhang mit dem sogenannten Medizinproduktegesetz zugestimmt, das vor allem Fristen für Verkauf und Lagerung von Arzneimitteln regelt. Die Datenschutzbeauftragten von zwölf Bundesländern kritisierten die neue Vorschrift als „Bruch des Sozialgeheimnisses“, als „Schnellschuß unter dem Deckmantel des Medizinproduktegesetzes“.
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