: Integration ohne Sanktion
■ „Lernt Deutsch!“ ist an sich eine sinnvolle Forderung, vor allem, weil mangelnde Sprachkenntnisse unter Migrantenkindern zunehmen. Nur sollte man diese Forderung nicht an eine Hierseinsberechtigung koppeln.
Wer will schon in schlechte politische Gesellschaft geraten? Also sagt man es nicht laut oder denkt sich seinen Teil – wenn die türkische Nachbarin freundlich „Guten Tag“ sagt, aber auch nach zwanzig Jahren nicht mehr. Wenn sich in der Kita der Tochter türkisch als Umgangssprache durchgesetzt hat, wenn bei der Einschulungsfeier ein Teil der Knirpse nicht mitsingt, weil „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ die ersten deutschen Worte sind, die sie überhaupt nachsprechen sollen.
„Ausländer sollen Deutsch lernen“ – irgendwie, eigentlich könnte man diese Forderung selbst unterschreiben, aber seit Bayerns CSU und Berlins Innensenator mangelnde Deutschkenntnisse zum Synonym für mangelnde Hierseinsberechtigung gemacht haben, lastet auf dem Problem wieder die Hypothek von politisch- korrekter Frontbegradigung.
Dabei ist das Problem seit langem bekannt und auch nichtdeutsche Verbände haben es in den letzten Jahren thematisiert: In den Ballungsgebieten mit herkunftsstaatlich sortierten Netzwerken und Nachbarschaften wachsen die Sprachdefizite auch bei Kindern der sogenannten „dritten Generation“. Gleichzeitig gibt es immer wieder eine neue erste Generation – nachziehende Jugendliche und EhepartnerInnen, die direkt aus dem Herkunftsland stammen. Vor allem junge Ehefrauen stehen nach ihrer Heirat und Übersiedlung wieder dort, wo ihre Müttergeneration zu Beginn der siebziger Jahre war – nur ohne den damals effektiven Integrationsassistenten, den Arbeitsplatz.
Experten beobachten zwei gegenläufige Tendenzen. Während sich nichtdeutsche SchülerInnen langsam aber stetig den Weg zum Hochschulabschluß bahnen, sind häufiger als noch vor ein paar Jahren viele Migrantenkinder am ersten Schultag erstmals mit einer deutschsprachigen Lebenswelt konfrontiert. „Vor einigen Jahren“ beobachtet Rita Hermanns, Sprecherin der Berliner Schul- und Jugendverwaltung, „hatten wir für die Kitas lange Wartelisten mit türkischen Eltern. Heute werben wir, daß sie ihr Kind überhaupt in die Kita schicken.“ Arbeitslosigkeit der Eltern und finanzielle Engpässe, die Kita-Gebühren als Luxusartikel erscheinen lassen, aber auch kulturelle Abgrenzung und Skepsis – ein ganzes Motivbündel verwebt sich frühzeitig zum Integrationshemmnis. Ausgrenzende Signale der Mehrheitsgesellschaft und Selbstisolation der Minderheit gehen dabei ein fatales Wechselspiel ein. „Für einige unserer Schüler ist der Lehrer die einzige Person am Tag, mit der sie deutsch sprechen“, beschreibt ein Kreuzberger Schulleiter den Alltag.
„Wir dürfen den Einwanderern das auch nicht mehr einfach so durchgehen lassen“, meint Georgios Tspananos, Sprecher der Ausländerbeauftragten Cornelia Schmalz-Jacobsen, „aber Integration funktioniert nicht mit Sanktionen. Wir müssen Angebote machen und die gesellschaftliche Erwartungshaltung deutlicher herausstellen: Lernt Deutsch!“
Für Aussiedler gehören Sprachkurse zum politisch gewollten Pflichtangebot – als Willkommenshilfe für die Neudeutschen und nicht als Strafe. Wer jedoch das Recht auch auf sprachliche Eingliederungshilfe nicht nutzt und dadurch für den Arbeitsmarkt schwer vermittelbar wird, riskiert die Unterstützung. Auch für neueinreisende Migranten halten Experten einen obligatorischen Sprachunterricht, der in den klassischen Einwanderungsländern wie Kanada üblich ist, durchaus für sinnvoll. „Ein gewisser Druck kann hilfreich sein, aber wir müssen die Kurse an Leckerli binden“, plädiert Rosi Wolf-Almanasreh, Leiterin des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt, „Sprach- und Strukturkurse, so wie in Holland, und im Gegenzug dafür ein verfestigter Aufenthalt oder eine Arbeitserlaubnis, das wäre mein Traum.“ Nur für diesen Traum müßte die Politik bereit sein, das Ausländerrecht der Realität eines faktischen Einwanderungslandes anzupassen.
Bisher koppelt die Bundesrepublik nur ein einziges Recht an Sprachkompetenz: Wer nicht erst nach fünfzehn, sondern nach zehn Jahren den deutschen Paß haben will, muß ein Mindestmaß an Deutschkenntnissen vorweisen. Auf dem Arbeitsmarkt hingegen ist diese Koppelung längst Realität: So knüpfte ein hessischer Autozulieferer die Weiterbeschäftigung seiner ausländischen Arbeiter an bessere Deutschkenntnisse. Und auch Arbeitsämter machen Druck, weil Bewerber ohne sprachliche Weiterbildung kaum zu vermitteln sind.
Sprachkurse werden nach wie vor von staatlicher Seite gefördert, auch wenn bei den Haushaltsberatungen alljährlich der Ruf ertönt, nach 30 Jahren müsse Schluß sein damit. Mit 27 Millionen Mark bezuschußt das Bundesarbeitsministerium Deutschunterricht für ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien, ein Haushaltsposten, der in den letzten Jahren annähernd gleich geblieben ist. Angebote gibt es auch von den Ländern und freien Trägern – die Frage ist, ob es die richtigen sind.
Die Klage über wachsende Sprachdefizite läßt daran zweifeln. Inzwischen suchen Verbände und Behörden deshalb vielerorts nach neuen kleinen Schritten, um die Gruppen zu erreichen, die bisher scheinbar wenig Interesse zeigen. Die Rücksichtnahme auf kulturelle Rahmenbedingungen kann helfen, vermeintliches Desinteresse in Lerneifer zu wandeln: In Frankfurt etwa bieten inzwischen 19 Schulen Deutschunterricht für die Mütter ihrer türkischen Schüler an – vormittags, wenn die Frauen Zeit haben, in Wohnnähe und in einem Gebäude, das den Müttern durch ihre Kinder vertraut ist. Das Programm „Mama lernt Deutsch“ ist längst ein solcher „Renner“, daß jetzt die türkischen Männer auf der Matte stehen: „Papa auch!“ Vera Gaserow
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