: Halbwahre Gastfreundschaft unter den Augen der Bodyguards
■ Avi Primor, Botschafter Israels in Bonn, botschaffte allzu ungetrübt als „SommerGast“ von Radio Bremen in der Schauburg
An diesem Samstag hatte es zettBeh-Moderator Bernhard Gleim nicht mit einem Journalisten zu tun, dessen Job es ist, fremder Herren Länder kritisch zu durchleuchten. Ihm gegenüber in der schwülen Schauburg saß ein Botschafter, der Angestelltenlohn erhält, um gute Stimmung für sein Land zu verbreiten. Vielleicht war sich Gleim des Unterschieds nicht immer ausreichend bewußt. Jedenfalls ließ er die Zustandsbeschreibungen des israelischen Botschafters Avi Primor meist wiederspruchslos gelten. Und der warb natürlich um Toleranz gegenüber der Politik Benjamin Netanjahus: Man müsse das verstehen, daß sich die Israelis nach Rabins Ermordung bei den Wahlen im Mai 1996 für Likud gegen Peres entschlossen haben; schließlich waren sie verängstigt durch die Terroranschläge der Hamas. Das mit den Siedlern sei so eine Sache, kompliziert und anders und überhaupt, ja überhaupt liege die Ursache allen Übels bei den PalästinenserInnen, die 1947 die Teilung Palästinas nicht akzeptierten.
Natürlich ist diese Argumentation Primors wahr, halbwahr. Unter die andere Hälfte der Wahrheit könnte verbucht werden: das Gemetzel, das der ultraorthodoxe Jude Baruch Goldstein – vor der neuen Serie von Hamasanschlägen – in einer Moschee in Hebron anrichtete; die „Tod allen Arabern“-Plakaten der jüdischen Siedler; das Blutbad in einem libanesischen Flüchtlingslager durch fehlgehende israelische Raketen; die provokative Unterwanderung moslemischer Heiligtümer in Jerusalem durch einen Touristentunnel; das Siedlungsprojekt Har Choma in Ostjerusalem, das dem Oslo-Abkommen ebenso spottet wie der UN-Resolution 242; das Absperren der PalästinenserInnen von ihren Arbeitsplätzen; das Schließen ihrer Universitäten; usw. Trefflich hätte man sich streiten können über hunderterlei konkreter Schachzüge der israelischen Politik. Doch lieber ließ es Gleim bewenden bei allgemeinen Unverbindlichkeiten. Symptomatisch für die deutsche Haltung gegenüber dem Nahostkonflikt.
Der Grund liegt auf der Hand. Konkret, anekdotisch, nachvollziehbar, wie Avi Primor über die Gegenwart kein einziges Mal sprach, erinnerte er sich an seine Jugend, die schwierige Annäherung an ein Deutschland, das mit Ausnahme der Eltern die ganze Verwandtschaft tötete. Die Präsenz eines ganzen Haufen von Bodyguards in der Schauburg und die Abgabepflicht für Handtaschen verschärft das Bedrohtheitszenario. Zutiefst ergreifende, wichtige Geschichten – und doch kein Grund, ihm sein Botschaften gar so leicht zu machen. Allzusehr wurde er als Gast behandelt, jede Konfrontation vermieden.
Von einer schöneren Form der Gastfreundschaft erzählte Avi Primor selbt. Als Gäste nämlich, erfuhr man, behandelt Israel seine Einwanderer, nicht als Schmarotzer, sondern als Bereicherung. „Sie leben ganz ohne Sorgen.“ Ein ganzes Jahr gönnt man ihnen zur Orientierung. In dieser Zeit leben sie in Hotels, gehen zur Schule, machen Ausflüge, lernen israelische Familien kennen. „Man tut alles mögliche, um ihnen zu helfen sich zu integrieren.“ Integration also nicht als Bringschuld der Einwanderer, sondern des Staates! Und wenn es in der ersten Generation nicht ganz gelingt, „klappt es garantiert in der zweiten“. Was sind in Anbetracht von ein paar Tausend Jahren Menschheitsgeschichte schon 20 Jahre hin oder her. Hier denkt einer in entspannter, großzügiger Zeitperspektive von denen eine Wirtschaftspolitik lernen könnte, die sich von schnöden Rechnungen von Quartal zu Quartal beherrschen läßt. Barbara Kern
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