: Die Türkei spielt mit Grünen Ceyhun
■ Der designierte Europaabgeordnete Ceyhun kann nicht reisen, weil das türkische Innenministerium einen Haftbefehl aufrechterhält
Berlin (taz) – Das türkische Innenministerium hält nach wie vor einen internationalen Haftbefehl gegen den grünen Politiker und Mitarbeiter der hessischen Umweltministeriums, Ozan Ceyhun, aufrecht. Das, obwohl ein Gericht in Istanbul Anfang Mai den Haftbefehl aufgehoben hat, wie aus einem übersetzten und der taz vorliegenden Protokoll hervorgeht.
Der Fall Ceyhun hatte im Februar dieses Jahres für Schlagzeilen gesorgt. Der heute 37jährige war aufgrund eines Haftbefehls und eines Auslieferungsersuchens der Türkei von Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) kurzeitig festgehalten worden. Hintergrund war die damals fälschliche Angabe der Türkei, Ceyhun sei noch immer ihr Staatsbürger. Eine Überprüfung des BKA ergab aber, daß Ceyhun seit 1992 die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und somit nicht der Türkei überstellt werden kann. Unmittelbar nach der Polizeiaktion wurde in den türkischen Medien ein Kampagne gegen Ceyhun gestartet. In ihrem Haftbefehl hatten die Behörden Ceyhun Totschlag und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (Dev Sol) vorgeworfen. Vorwürfe, die Ceyhun bestreitet. Anfang des Jahres äußerten die Grünen die Vermutung, bei dem Vorgehen gegen ihr Mitglied handele es sich um einen politisch motivierten Racheakt. Hintergrund könne der für Dezember vorgesehene Wechsel Ceyhuns in das Europaparlament in Straßburg sein. Er soll dort auf den Platz der Abgeordneten Claudia Roth nachrücken, die derzeit in Bayern für den Bundestag kandidiert. Ceyhun hatte angekündigt, im Europarlament die Menschenrechtssituation in der Türkei anzusprechen.
Solange der Haftbefehl aufrechterhalten wird, kann Ceyhun die Bundesrepublik nicht verlassen – etwa für ein Vorbereitungstreffen der Europafraktion. Bei einem Grenzübertritt nach Frankreich müßte er nach Angaben seines Anwalts Hans Wolfgang Euler mit seiner Verhaftung rechnen. Erst wenn er offiziell Roths Nachfolgeschaft Mitte Dezember antritt, genösse Ceyhun die Immunität eines Europaabgeordneten. Dann könnte er auch ins Ausland fahren. Bis dahin, so Ceyhun, versuche das türkische Innenministerium seine „Reisefreiheit zu beschneiden“. In der Tat ist deren Vorgehensweise merkwürdig. Die Staatsanwaltschaft in Darmstadt, die im Amtshilfeverfahren die Ermittlungen gegen Ceyhun führt, meldete am 10. Juli in einem Schreiben an Ceyhuns Anwalt, die Türkei habe mitgeteilt, der Haftbefehl sei „noch gültig“. Daß ein Istanbuler Gericht bereits im Mai anders entschied, unterschlugen die türkischen Behörden gegenüber der Darmstädter Staatsanwaltschaft – bis heute. Severin Weiland
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