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Arsen und Säure fürs digitale Schmökern

■ Ende des Jahres soll das „elektronische Buch“ auf den Markt kommen. Hersteller preisen es als umweltfreundliche Innovation – doch bei der Produktion fallen jede Menge Schadstoffe an

Berlin (taz) – Die nächste Ökorevolution steht angeblich ins Haus: Minicomputer mit etwa DIN-A5-großem, flachem Bildschirm und eingebautem Modem, sogenannte „Electronic Books“, sollen die Menschheit vom Wälder verschlingenden Buch erlösen. Vor zwanzig Jahren schon versprach die Computerindustrie das papierlose Büro. PCs mit dicken Festplatten sollten Aktenordner, Laufmappen und Zettelstapel Geschichte werden lassen – ein bekanntlich nicht gehaltenes Versprechen.

Beim E-Buch loggt sich der Leser per Modem via Internet direkt in den virtuellen Buchladen ein und lädt sich Romane, Zeitschriften und Wissenschaftspublikationen direkt ins E-Buch oder füttert es mit einer kleinen Speicherkarte. Tausende Hektar Bäume würden nicht abgeholzt, giftige Tintenreste nicht ins Abwasser gespült und kein Liter Sprit für den Transport von alten Schwarten verfahren.

Doch in jedem E-Buch schlägt ein Chip und leuchtet ein Flüssigkristallbildschirm. Daß beide Produkte nicht gerade die Hitliste umweltfreundlicher Industrieerzeugnisse anführen, verschweigen die Hersteller nur zu gerne.

Gleich drei US-amerikanische Firmen – Softbook Press, Everybook Inc. und NuvoMedia, an der der deutsche Medienriese Bertelsmann beteiligt ist – wollen bis Ende dieses Jahres E-Bücher auf den Markt bringen – und preisen nicht zu knapp deren Umweltfreundlichkeit an. „Das Everybook-Konzept vermeidet Umweltbelastung an der Quelle“, wirbt zum Beispiel die Firma Everybook. Doch das ist leider nur die halbe Wahrheit.

Die zur Chip- und Halbleiterfertigung benötigte Reinstraumtechnologie sowie die hohen Temperaturen (3.000 Grad) bei der Gewinnung des Grundbausteins Silizium verschlingen Unmengen an Energie. Gut 60 Millionen Liter Wasser pumpen allein die 20 Produktionsstätten der Firma Intel jeden Tag aus dem Grundwasser, die anschließend mit Lösungsmitteln, Säuren und Laugen versetzt als Abwasser anfallen.

An 150 Stellen des kalifornischen Silicon Valley ist nach Angaben der Umweltorganisation Silicon Valley Toxics Coalition das Grundwasser durch Abwasser aus Chipfabriken verseucht. Viele Gemeinden in den USA weigern sich, Gelände für Chipfabriken auszuweisen, weil sie um ihr Grundwasser fürchten.

Giftige Schwermetalle und Halogene kommen nicht nur im Produktionsprozess zum Einsatz, sondern finden sich auch im Chip selbst. Zudem prognostiziert die Bundestags-Enquetekommision „Schutz des Menschen und der Umwelt“ in ihrem kürzlich vorgelegten Bericht eine starke Zunahme des Arseneinsatzes durch die Einführung einer neuen Generation von Halbleitern.

Auch der LCD-Bildschirm steht ökologisch nicht besser da. Denn LCD-Displays enthalten Arsen und nach Angaben des privaten Forschungsinstituts Microelectronics and Computer Technology Corporation teilweise auch Schwermetalle, Quecksilber und radioaktive Isotope. Die genauen Inhaltsstoffe behalten die Hersteller bislang für sich. Ausgereifte Recyclingverfahren für LCD- Bildschirme gibt es zur Zeit noch nicht.

Ein Stolperstein auf dem Weg zur papierbuchfreien Welt ist die Lesefreundlichkeit der E-Bücher. Deren LCD-Displays sind für Augen anstrengender zu lesen als eine Papierseite. Vielleicht hat die Firma Everybook deswegen vorsorglich einen Druckeranschluss eingebaut. Das papierfreie Bücherregal dürfte damit ebenso eine Illusion bleiben wie das papierlose Büro. Weiterer Haken: Der Kauf eines einzigen E-Buchs reicht zur Erschließung aller On-Line Texte nicht aus. Denn E-Buch-Besitzer müssen ihren Lesestoff beim jeweiligen Hersteller ihres elektronischen Wälzers einkaufen. Die drei E-Buch-Produzenten aber haben längst Kooperationen mit verschiedenen Verlagen beschlossen. Rüdiger Haum

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