: „Das ist, wie nach Öl zu bohren“
Entschädigungsklagen von Nazi-Opfern gegen deutsche Firmen könnten in den USA ein Riesengeschäft werden. Baukonzern Holzmann wird vor Gericht stehen ■ Von Joachim Fahrun
Bremen (taz) – Bill Shernoff ist hinter dem „big money“ her. Der Anwalt aus Kalifornien wittert das große Geld, da die Entschädigungsfrage anscheinend den Wind zugunsten der Nazi-Opfer dreht. Shernoff will wie eine Reihe seiner amerikanischen Kollegen deutsche Konzerne vor US-Gerichte bringen und Millionen Dollar an Schadenersatz für seine Mandanten – und für sich – herausholen. Der prominente Verbraucheranwalt aus Los Angeles betritt mit solchen Fällen ebenso juristisches Neuland wie die gesamte US-Justiz. Denn bis vor kurzem waren individuelle Entschädigungsforderungen von Nazi-Opfern durch das Londoner Schuldenabkommen über die deutschen Reparationsleistungen ausgesetzt, darum gibt es noch keine Präzedenzfälle.
Dieses Geschäft sei „ein bißchen so, wie nach Öl zu bohren“, sagt Shernoff. Werden die Firmen verurteilt oder kommt es zu außergerichtlichen Vergleichen, stecken die Anwälte ein Drittel ein. Weisen die Gerichte die Klagen ab, gehen aber auch sie leer aus. Wie Shernoff bohren auch andere US- Kanzleien in Deutschland. Ed Fagan aus New York, der gerade mit der Enteignungsklage gegen Degussa Aufsehen erregte, arbeitet mit dem Münchener Anwalt Michael Witti zusammen, der jüngst mit einer angekündigten 18-Milliarden-Dollar-Klage gegen die Deutsche und die Dresdner Bank in die Schlagzeilen kam.
Für die Kanzlei von Melvyn Weiss, die eine Gruppenklage von Zwangsarbeitern gegen Ford erhoben hat, ist die Anwältin Deborah Sturman in Deutschland unterwegs, um weitere Fälle zu akquirieren. Die Amerikaner suchen in Deutschland Informationen, Gesprächspartner und Kontakt zu Nazi-Opfern, denn die einzelnen Fälle müssen genau dokumentiert sein.
Deshalb landen alle, bei denen es um Entschädigung für Zwangsarbeit geht, über kurz oder lang bei Klaus von Münchhausen. Der adelige Nichtjurist aus Bremen, dessen jüdische Mutter in Auschwitz umgebracht wurde, vertritt seit Jahren ehrenamtlich jüdische Zwangsarbeiterinnen in zwei Schadenersatzklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland vor Gerichten in Bremen und Köln.
Und er hat, was die Amis gerne hätten – juristische Vollmachten von 600 Überlebenden des Nazi- Terrors, die bei VW, Varta, Siemens, Hochtief oder Bosch Sklavenarbeit leisten mußten. Darum hat Shernoff den Baron in die noble Suite 709 des Hamburger Hotels Intercontinental gebeten. Bisher ist der drahtige Kalifornier in die Verhandlungen zwischen amerikanischen Juden und einigen deutschen Versicherungskonzernen involviert. Jetzt will er sein Geschäft auf Entschädigungsklagen für Zwangsarbeiter ausdehnen.
Gleich zu Beginn des Gesprächs macht der Amerikaner klar, worum es geht: „Individuelle Schadenersatzklagen von Opfern können in Kalifornien Millionen von Dollars bringen.“ An ein paar tausend Mark Zwangsarbeiterlohn, wie sie Münchhausen in Deutschland erstreiten oder als freiwillige Zahlungen über eine Stiftung irgendwann einmal an Überlebende austeilen könnte, sei er nicht interessiert. Wenn Münchhausen ihm hilft und Vollmachten von kalifornischen Bürgern habe, könnte er mit einem Drittel des Anwaltlohns rechnen.
Über den ersten möglichen Gegner hat Shernoffs Privatdetektiv Carter Spohn schon wichtige Informationen ausgekundschaftet: Der bisher in der Entschädigungsfrage nicht in Erscheinung getretene Frankfurter Baukonzern Philipp Holzmann betreibt eine Niederlassung in Kalifornien. Also kann ein kalifornischer Bürger die Firma unter „punitive damage“ vor Gericht bringen. Bei dieser kalifornischen Rechtsspezialität müssen die Geschworenen nicht den erlittenen Schaden bewerten und diesen ausgleichen. Sie entscheiden vielmehr, welche Summe angemessen wäre, um Unternehmen für ihre bösen Taten zu bestrafen. Die Aussagen betagter Überlebender des Holocaust könnten die Jury zu Tränen rühren, glaubt Shernoff: „Sie würden so eine Firma killen.“
Der Mann muß es wissen. Nebenbei gibt er Kurse für Nachwuchsjuristen: „Wie ich am wirksamsten eine Jury überzeuge.“ Da trifft es sich gut, daß Holzmann auch mit Arabern Geschäfte macht. Das hilft sicher vor den Geschworenen, meint der Anwalt. Doch vor der Inszenierung im Gerichtssaal braucht Shernoff einen kalifornischen Bürger oder besser noch ein paar mehr. Wenn Münchhausen da helfen könne? Einen potentiellen Millionenkläger hat Shernoff schon selber an der Hand. Ein litauischer Jude, der heute in Studio City (Kalifornien) lebt, war 1944 aus dem Ghetto von Kaunas nach Deutschland deportiert worden. Im Arbeitslager Kaufring, einer Außenstelle des KZ Dachau in der Nähe von Landsberg am Lech, mußte er als knapp 14jähriger mit Tausenden Leidensgefährten für Holzmann eine Fabrik bauen, in der die Düsenjäger vom Typ Messerschmitt ME 262 produziert werden sollten. Sein Vater starb kurz vor der Befreiung.
Erst nachdem der alte Mann von der in Amerika viel beachteten Einwilligung des VW-Konzerns gehört hatte, ehemalige Zwangsarbeiter individuell zu entschädigen, kam er auf den Gedanken, ebenfalls seinen Sklavenlohn und Schadenersatz zu fordern.
Er wandte sich an Shernoff und auf Rat einer befreundeten Jüdin auch an Münchhausen, der die Einigung mit VW maßgeblich eingefädelt hatte. Jetzt will Shernoff mit Münchhausens Hilfe für den Mann Millionen herausholen. Und wenn Münchhausen kalifornische Opfer bei der Hand hätte, könnte er nach demselben Muster Siemens, Daimler-Benz oder Hochtief vor Gericht bringen. „Lassen Sie uns den Holzmann-Fall versuchen und gucken, ob es sich lohnt“, so der Vorschlag. Münchhausen, der seine Kosten von einem anonymen Sponsor ersetzt bekommt, schluckt seine Empörung über den amerikanischen Geschäftssinn herunter und sagt ja.
Falls er jemals Erfolgshonorar bekommt, will er es spenden. Sein Kalkül ist, daß die deutschen Firmen, mit dem Druck amerikanischer Millionenklagen im Rücken, mehr Geld in die von ihm gewünschte Bundesstiftung zuschießen. Und aus einer solchen Stiftung könnten dann nicht nur einige wenige Kalifornier Geld bekommen, sondern auch überlebende Zwangsarbeiter aus Osteuropa oder dem Baltikum, von denen viele bis heute noch keinen Pfennig als Wiedergutmachung gesehen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen