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Die Börse frißt ihre Kinder

■ Panik an den Börsen der Welt: Die Aktienkurse sacken weltweit auf Tiefstände. Das Desater in Rußland reicht als Grund dafür nicht aus, sagen Analysten. Abkühlung war erforderlich

Berlin/Frankfurt (taz/dpa/rtr) – Ob der gestrige Tag bereits der Schwarze Freitag für Weltbörsen war oder dieses Prädikat erst nächste Woche berechtig sein wird, konnten Aktienhändler nicht sagen. Ihre Prognosen verfallen zur Zeit so schnell wie die Kurse an den Börsen zwischen Tokio und Frankfurt. Der Deutsche Aktienindex Dax sackte am Morgen auf 4.750 Punkte, erholte sich jedoch im Laufe des Tages bis auf 4.957,38 Punkte um 14.30 Uhr. Damit hat der Dax seit dem Höchststand am 20. Juli mit 6.171 Punkten mittlerweile ein Fünftel seines Wertes verloren. An allen europäischen Börsen fielen gestern die Kurse. Sie folgten damit den asiatischen Börsen, die wiederum der Börsenkrise des europäischen Vortages und dem Fall des US-Aktienindexes Dow Jones an der New Yorker Börse hinterhergerutscht waren. Der Dow Jones hatte am Donnerstag 357,36 Punkte oder 4,2 Prozent verloren und mit 8.166 geschlossen.

Auswirkungen der russischen Finanzkrise und die wachsende Sorge um Japans Banken ließen in Tokio die Kurse weiter fallen. Der Nikkei-Index für 225 führende Werte unterbot erstmals seit März 1986 die Marke von 14.000 und schloß mit 13.915,63 Punkten. Das war ein Verlust von 3,5 Prozent oder 498,16 Punkten.

In Hongkong, das sich mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um fünf Prozent im zweiten Quartal nun auch offiziell in der Rezession befindet, bremsten massive Marktinterventionen der Zentralbank die Verluste an der Börse. Der Hang-Seng-Index fiel dennoch um 1,2 Prozent auf 7.829,74. Analysten sprachen von einem Machtkampf zwischen Regierung und Spekulanten. Hongkong hat in den letzten Tagen etwa 15 Milliarden US-Dollar für Marktinterventionen ausgegeben. Von den Börsen Südostasiens mußte Manila mit 5,7 Prozent den größten Verlust hinnehmen. „Das war ein blutroter Tag“, sagte ein Händler. In Australien und Neuseeland fielen ebenfalls die Kurse.

Die Jagd der Spekulanten um den Erdball machte auch vor Lateinamerika nicht halt. Wie bereits in der Woche zuvor verloren die Aktien an den Börsen durchschnittlich 10 Prozent. Auch die Devisen der lateinamerikanischen Staaten sackten im Verhältnis zur Leitwährung Dollar auf bedenkliche Tiefstände. Der Internationale Währungsfonds hat daher die Finanzminister von Argentinien, Brasilien, Mexiko, Chile, Uruguay, Venezuela und Kolumbien zu Krisengesprächen in der kommenden Woche geladen.

Die Krise in Rußland reicht zur Erklärung der sinkenden Börsenkurse nicht aus, sagen Analysten. Die Aktienkurse seien schon seit Monaten überhitzt gewesen. Das Rußlanddesaster sei ein willkommener Anlaß für Anleger gewesen, den Höhenflug des Dax zu stoppen, sagte Commerzbank- Volkswirt Peter Pietsch gestern. Die Asienkrise des vergangenen Jahres habe dies nicht geschafft. „Asien ist weit weg, Rußland ist geographisch und geopolitisch viel näher.“ In der Tat sind die Handelsverflechtungen zwischen Rußland und den westlichen Industriestaaten geringer als die der asiatischen Staaten mit den Ländern. „Aber“, schreibt das Wall Street Journal, „die Psychologie des Marktes könnte nicht einmal Sigmund Freud analysieren.“ ufo

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