Eine Schlamperei wird volljährig

1976 erfährt die Journalistin Gabriele Weber, daß ihr Name in Unterlagen des Verfassungsschutzes auftaucht. 1980 strengt sie eine Klage auf Akteneinsicht an. 18 Jahre später steht die Entscheidung immer noch aus  ■ Von Otto Diederichs

Berlin (taz) – Vor drei Jahren zeigte sich der Anwalt noch zuversichtlich: „Recht viel länger dauert es nicht mehr.“ 15 Jahre lang hatte der Juraprofessor und Rechtsanwalt Eggert Schwan damals bereits die drei Klagen der Journalistin Gabriele Weber betrieben. Nachdem sie Mitte der siebziger Jahre ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten war, verlangt die Journalistin seit den achtziger Jahren Akteneinsicht in das gegen sie gesammelte Material. Doch der Optimismus von Rechtsanwalt Schwan erwies sich als verfrüht, bis heute ist er nicht weitergekommen. Inzwischen sind 18 Jahre verstrichen, der Vorgang ist gewissermaßen volljährig geworden.

In all der Zeit war der Anwalt keineswegs untätig. Nachdem die Klagen von den Verwaltungsgerichten jahrelang verschleppt worden waren, hatte Schwan Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingelegt – auch das liegt mittlerweile schon ein knappes Jahrzehnt zurück. Um nicht zu riskieren, daß er das Ende der juristischen Odyssee womöglich nicht mehr erlebt, hat der 60jährige Schwan sich vor kurzem erneut an das Gericht in Karlsruhe gewandt. Konkret will er wissen, „ob und wann das BVerfG über die erhobenen Beschwerden zu entscheiden gedenkt“, und droht mit einem Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, „sofern die eingangs erbetene Auskunft nicht dahingehend ausfällt, daß in Kürze mit einer Entscheidung des BVerfG zu rechnen ist“.

Die Wurzeln dieser Verfassungsbeschwerden reichen zurück bis in den sogenannten Schmücker-Prozeß, den bisher längsten und skandalreichsten Mordprozeß der deutschen Rechtsgeschichte. Das Verfahren um die Erschießung eines V-Manns des Verfassungsschutzes, Ulrich Schmücker, Anfang der siebziger Jahre ist seit 1991 zwar durch Einstellung erledigt, an seinen Nebenwirkungen hingegen laboriert die Justiz immer noch.

Die Konfusion beginnt bereits damit, daß die nur nach Metern zu messenden Verfassungsschutzakten bei Gericht nicht mehr auffindbar sind. Routinemäßig stellt das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz daher in halbjährlichen Abständen den Antrag, seine Akten zurückzusenden. Bislang vergeblich. Und in Karlsruhe schmoren die Verfassungsbeschwerden von Gabriele Weber.

Begonnen hatte alles, als im Oktober 1974 der mutmaßliche Todesschütze und spätere Kronzeuge Jürgen Bodeux bei seiner Vernehmung zu Protokoll gab: „Anfang März 1974 (...) brach ich meine Lehre in Köln ab und zog nach Bonn (...) zu Gaby Weber, die ich aus der ,Roten Hilfe‘ Bonn kannte.“ Damit war die Journalistin ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten.

Sechs Jahre später sah sie sich erstmals unmittelbar mit Informationen aus ihrer Überwachung konfrontiert, als ihr der damalige Senatsdirektor in der Berliner Justizverwaltung, Alexander von Stahl, Teile aus einem V-Mann- Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz aus dem Jahre 1976 vorlas, um sein Veto für ein Interview in der Berliner Haftanstalt zu begründen. Schon damals hatte der spätere Generalbundesanwalt keine glückliche Hand. Auch vor diesem Gespräch waren der engagierten Journalistin bereits mehrfach Behinderungen ihrer Arbeit aufgefallen. So hatten etwa einige ihrer Auftraggeber und Interviewpartner feststellen müssen, daß sich das Bundeskriminalamt (BKA) nach ihr erkundigt hatte. Um endlich Klarheit zu erhalten, forderte Gabriele Weber das Bundesamt für Verfassungsschutz nunmehr auf, ihr Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu geben. Als sich das Amt „aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in der Lage“ sah, diesem Ersuchen nachzukommen, reichte ihr Anwalt 1980 Klage beim Verwaltungsgericht Köln ein. Weitere Klagen gegen die Berliner Polizei und das BKA folgten 1982 und 1984 (siehe taz v. 23.1. 96).

Bislang hat lediglich das BKA 1995 seine Akten offengelegt, nicht jedoch ohne sie – wie sich aus der Paginierung ergibt – zuvor kräftig zu bereinigen. Eine Klage wegen widerrechtlicher Vernichtung von Aktenmaterial hat die Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich wegen Verjährung eingestellt. So trägt die Verschleppung erste Früchte. In den beiden anderen Verfahren herrscht nach wie vor Stillstand. Im September nun jährt sich der Beginn der Klagen zum 18. Mal. „Die aus Bonn bekannte Methode des Aussitzens von Problemen hat durchaus auch in Karlsruhe ihre Anhänger gefunden“, kommentiert Rechtsanwalt Schwan die „Volljährigkeit“ des Vorgangs. Sofern Karlsruhe sich nicht demnächst entscheidet, beabsichtigt er, den Fall dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg vorzulegen. Durch die lange Verfahrensdauer sei de facto ein Zustand der Rechtsverweigerung eingetreten: Gabriele Weber vermöge „den begehrten Schutz ihrer Grundrechte beim Bundesverfassungsgericht nicht zu erlangen“.