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Zweites Leben für das Trabi-Land

Die Autoindustrie hat sich in Sachsen zu einem der wichtigsten Arbeitgeber entwickelt. Motor dieser Entwicklung ist eine üppige Förderpolitik für die Großkonzerne  ■ Von Nick Reimer

Dresden (taz) – Gleich mit drei Schlagzeilen wartete letzte Woche die sächsische Automobilindustrie auf. Erstens: Nach VW wird jetzt mit Toyota ein zweiter großer Autokonzern eine Produktionsstätte im Freistaat errichten. Zweitens: Mit dem „Uni1“ wurde ein Auto vorgestellt, dessen Antrieb als „zukunftsweisend“ gefeiert wird. Drittens: Der ehemalige Trabi-Hersteller Sachsenring plant die Übernahme des Weidener Unternehmens Mitrans, das mit europaweit 1.700 Mitarbeitern Kunststoffautoteile produziert.

Anfang der neunziger Jahre stand mit der Liquidierung des VEB Sachsenring eine lange Industrietradition vor dem Aus, 12.000 Menschen verloren allein in Zwickau ihren Job. Eine üppige Förderpolitik des Landes, qualifiziertes Personal vor Ort und VW als Zugpferd haben die Branche aber inzwischen zu einem der wichtigsten Arbeitgeber in Sachsen gemacht.

Die neue Zeit begann am 26. September 1990. Im westsächsischen Mosel legte Bundeskanzler Kohl persönlich den Grundstein für ein neues VW-Werk. Von den über eine Milliarde Investitionsmark ließen sich die Wolfsburger 780 Millionen vom Bund und Land Sachsen fördern. Das rief die EU auf den Plan, die die hohe Förderquote als wettbewerbsverzerrend monierte und kurzerhand verbot. Sachsen zahlte trotzdem, was einen monatelangen Streit zwischen Brüssel und Dresden hervorrief.

Auch Toyota darf jetzt mit großzügigen Fördermitteln rechnen. Gemeinsam mit dem japanischen Autozulieferer Denso gründete der Konzern die Tochter „TD Klimakompressor Deutschland“. Schon im Oktober dieses Jahres wird in Straßgräbchen (Landkreis Kamenz) der Grundstein für das 80 Millionen Mark teure Werk gelegt. Im April 2000 soll die Fabrik in Betrieb gehen, mit 85 Mitarbeitern jährlich 600.000 Kompressoren für Autoklimaanlagen produzieren. Für die Landrätin in der strukturschwachen Region, Andrea Fischer, kam die Nachricht „wie ein Sechser im Lotto“. Beim Bürgermeister liefen die Telefone heiß vor Anrufen, weil sich so viele Menschen auf die neuen Jobs bewarben.

Auch die Sachsenring Automobiltechnik AG (SAG) expandiert. 1994 starteten die Brüder Ulf und Ernst-Wilhelm Rittinghaus als Sachsenring-Erben mit 245 Mitarbeitern als Zulieferer für VW. Inzwischen arbeiten im Zwickauer Stammwerk 850 Leute. Sachsenring unterhält Standorte im westdeutschen Wehre, in Hemer bei Iserloh und Schlüchten bei Fulda. Im Oktober 1997 ging Sachsenring mit einem Emissionswert von 25 Mark an die Börse, inzwischen ist die Aktie bei über 50 Mark. Nach der Übernahme der Bremer Trasco Fahrzeuge GmbH will sich Sachsenring jetzt Mitrans einverleiben und mit insgesamt 3.100 Mitarbeitern zur internationalen Spitzengruppe der Autozulieferer gehören.

Daß sich Sachsenring aber nicht nur auf die Zuliefererrolle beschränken möchte, zeigte der neu vorgestellte Uni1. In nur 36 Monaten hat ein 50köpfiges Entwicklungsteam drei Prototypen gebaut, auf Knopfdruck ihren Antrieb zwischen einem Turbodiesel für Überlandfahrten und einem Elektromotor für die Innenstadt wechseln können. Das Auto ist aus Aluminium, was es leichter macht und den Spritverbrauch senkt. 20,5 Millionen Mark kostet das Entwicklungsprojekt. Und auch hier fördert der Freistaat großzügig – mit 60 Prozent. „Wenn wir einen Partner finden“, erklärte Sachsenring- Vorstand Jürgen Rabe, „geht der Uni1 in Serie.“

In Serie gehen soll auch das neue, unter dem Arbeitstitel „Passat Plus“ laufende VW-Modell – und zwar in Dresden. „Die Priorität für Dresden ist unbestritten“, erklärte gestern VW-Aufsichtsrat Gerhard Schöder gegenüber der Sächsischen Zeitung. In seinen Werken in Mosel und Chemnitz beschäftigt der Konzern bereits über 3.000 Sachsen.

Die sächsische Leuchtturmstrategie – vor allem Großprojekte üppig fördern und auf deren Signalwirkung vertrauen – ist beim Mittelstand allerdings nicht unumstritten. „Es sind nun mal nur begrenzt Mittel zu vergeben“, so Joachim Wolf vom Unternehmerverband Sachsen. „Auch im Handwerk gibt es Verschnupfungen. Die Relationen stimmen einfach nicht“, so Frank Wetzel, Sprecher des Sächsischen Handwerkstags. Habe Sachsen beispielsweise 1995 noch 15 Millionen Mark Förderung gegen Liquiditätsprobleme bereitgestellt, sind es im laufenden Jahr nur noch etwa vier Millionen.

Beide Mittelstandsvertreter müssen allerdings einräumen, daß etliche Mitglieder von dieser Leuchtturmpolitik partizipieren. Wirtschaftsminister Kajo Schommer zeigt sich deshalb überzeugt, daß Toyota weitere Firmen in die Lausitz folgen werden. In jedem Fall will der Wirtschaftsminister den Straßenausbau mit 70 Millionen Mark vorantreiben. Damit die wachsende Autoindustrie in Sachsen was zum Fahren hat.

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