: Mein Steuerberater
■ Über Berufsanfang und Büroorganisation
Ulrich Wolfframs Beruf ergab sich aus seinem „typischen Nachkriegsschicksal“: Er wollte Ingenieur werden, mußte aber – 1947 aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt – bereits eine Familie ernähren und studierte statt dessen schnell Betriebswirtschaft an der neugegründeten Freien Universität. Er beabsichtigte, in die Steuerberatungspraxis eines Verwandten einzutreten. Dann kaufte er jedoch die Praxis eines Kollegen, der sich zur Ruhe setzte. Der war ein sog. 131er – „Belasteter“ – gewesen, also nicht wieder im (demokratisierten) Finanzamt untergekommen und selbständiger Steuerberater geworden. Seine Mandantschaft bestand überwiegend aus Kneipenwirten.
Ulrich Wolfframs Selbständigkeit begann mit einer Enttäuschung: „Ich übernahm 1954 ein Büro mit zwölf Angestellten – und bin die ersten Monate nur rumgelaufen, um Geld für Miete und Gehälter zu beschaffen.“ Die Wirtschaft lag damals noch darnieder, es gab sogar noch Naturalienwirtschaft. Bestochen wurde mit Obst oder Kugelschreibern. Dennoch entwickelte sich die Kanzlei. Ulrich Wolffram stellte weitere Leute ein und schaffte sich Geräte an, er „modernisierte“.
Wegen der Besonderheit seiner Mandantschaft kam es immer wieder zum Alkoholgenuß – „mit der Folge, daß ich abends keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte“. Daran gewöhnte er sich erst, und dann schaffte er das ab, das heißt, er akquirierte immer mehr Kunden aus anderen Branchen. Zuletzt zählten mittlere Betriebe, aber auch viele Künstler zu seinen Mandanten.
Anfänglich frisierten etliche ihre Geschäfte noch relativ unverfroren. Ein Kneipier bezog zum Beispiel zehn Flaschen Schnaps offiziell, kaufte daneben jedoch noch zweihundert Flaschen unverzollt am Bahnhof Friedrichstraße. Wenn die Prüfer das merkten, und das taten sie meistens, fiel dabei „auch ein schlechtes Licht auf den Steuerberater“. Daß daneben viele Steuerberater das Geld ihrer Mandanten für das Finanzamt einzogen – und dann spurlos damit verschwanden, „hat den Beruf ebenfalls in Mißkredit gebracht“.
Ulrich Wolffram konzentrierte sich auf das Steuerrecht. „Man kann sagen, daß gut neunzig Prozent der Prozesse, die ich damals geführt habe, auch gewonnen wurden. Heute ist es umgekehrt. Von zehn verliert man neun.“ In den fünfziger Jahren waren die Steuern höher als der Gewinn. Zur Ankurbelung der Wirtschaft wurde zunächst der Körperschaftssteuersatz heruntergesetzt. Dann kam – mit dem Berlinförderungsgesetz – der Trend zu Personengesellschaften auf, und damit erneut auch die Mischform GmbH & Co KG.
„Interessant war daran, daß man mit einer Einlage von hundert Verluste von vierhundert oder gar fünfhundert Prozent erwirtschaften konnte. Da war es nachher gar nicht mehr wichtig, ob man dabei seine Einlagen verlor, weil man viel mehr an Steuerersparnissen hereinbekam. Das hat eigentlich in Berlin zu einem großen Teil dazu beigetragen, den wirtschaftlichen Aufschwung zu fördern... Die Folge war, daß viele Leute von diesen Gesellschaften um ihr Geld betrogen wurden.“
Auch in der Finanzrechtsentwicklung kam es immer wieder zu Absurditäten, etwa beim Versuch, die Privatnutzung von Firmen-Pkws mehr und mehr zu erschweren. Dies führt nun dazu, „daß die Kosten des Firmenautos sich überhaupt nicht mehr steuerlich auswirken“ – und viele auf Taxis oder Mietautos ausweichen. „Das ist also ein ständiger Kampf, der dazu noch mit unfairen Mitteln geführt wird – von der Finanzverwaltung her.“ Früher legte der Unternehmer die Abschreibungsdauer für eine Maschine fest, weil er und nicht die Behörde das Wissen darüber besaß. Heute muß er den Zeitraum für den Verschleiß nachweisen, was immer komplizierter wird, besonders bei Computern, die vielleicht lange halten, aber schnell veralten.
„In vielen Fällen gibt man als Steuerberater klein bei, weil es vielleicht auch vom Ergebnis her nicht so interessant ist, andererseits sagt man sich dann aber auch wieder: Das geht nun nicht – wehret den Anfängen! Dazwischen liegt der Spielraum. Es gab eine Phase des Aufstiegs – in die berufliche Perfektion, wie sie einem so vorschwebte. Und dann kam die Phase, wo man versucht hat, sich die überflüssigen Probleme vom Hals zu schaffen.“ Ulrich Wolffram hielt dazu immer mit der Entwicklung der „Mechanisierung von Kopfarbeit“ Schritt. Seine erste Buchungsmaschine war von Olivetti, die erste elektronische kam aus Schweden. Bei einer neuen Buchungsmaschine von Bosch war er sogar an der Entwicklung beteiligt: Die Programme wurden nicht über Datenträger übertragen, „sondern mit Schaltung verlötet“. Für sein „Know-how“ – zu sagen, was die Maschine können mußte – bekam er nichts.
Mitte der siebziger Jahre entstand das Rechenzentrum „Datev“. Ulrich Wolffram arbeitete dann mit der Firma Telorix zusammen, die Programme für die Hardware von Triumph-Adler schrieb, wobei man mit weniger externen Speichern (Magnetbändern) auskommen sollte als bis dahin. In der Praxis „haben wir dann nur noch zweihundert gebraucht (für hundertzehn Mandanten), was auch noch sehr viel war“. Anfang 1986 beschäftigte er einen Organisationsberater, der ihm die Programme entwarf, heute schreibt er sie selber.
Mit der Verbesserung der Computer wurden immer mehr Beschäftigte überflüssig. Zuletzt arbeitete nur noch eine Sekretärin für ihn. Ein Jahr bevor er seine Praxis aufgab, 1997, um sich langsam zur Ruhe zu setzen, gab es auch für sie nichts mehr zu tun. Helmut Höge
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