: Wo ist denn Anna?
Nach ihrem Finalerfolg bei den US Open muß Lindsay Davenport doch noch ausführlich „Cheese“ machen ■ Aus New York Thomas Hahn
Die Fotografen drängelten sich mal wieder auf engstem Raum, weil das jüngste Ereignis es erforderte, ein ganz bestimmtes Motiv ins Bild zu bekommen: nämlich die amerikanische Tennissportlerin Lindsay Davenport (22), strahlend, mit Silber-Pott nach einem 6:3, 7:5-Sieg über Martina Hingis (Schweiz) im Finale der US Open von New York. Es klickte und blitzte hektisch, und wie es so hektisch klickte und blitzte, kam plötzlich ein abwegiger Gedanke daher: Wo war eigentlich Anna Kournikova (17)? Wahrscheinlich in ihrem Wohnort Bradenton/Florida. Beim Fingernägellackieren oder Tennistrainieren oder neidisch Fernschauen. Dabei war es nach der ersten Runde noch anders gewesen: Pflichtbesessene Fotografen legten da im Presseraum ihre Apparate an, weil Kournikova im bauchfreien Top und mit wallendem Blondhaar einherstolzierte. Und als sie fort war und die etwas weniger schöne Davenport angekündigt wurde, packten sie ihr Gerät ganz schnell ein. Aber jetzt: Völlig egal, wo Kournikova stolziert. Cheese, Mrs. Davenport.
Es ist doch immer wieder schön, wenn am Ende arbeitsreicher Wochen jene das meiste Interesse bekommen, die es auch am meisten verdient haben. Lindsay Davenport ist bestimmt nicht die Schillerndste im Feld der US Open gewesen. Dafür die beste Spielerin, und das muß bei einem Tennisturnier auch heutzutage noch am meisten zählen. Keinen Satz hat sie abgegeben, nicht einmal im Finale gegen die wütend kämpfende Martina Hingis. Sie überforderte die Gegnerinnen mit harten Grundschlägen und sicherem Aufschlag; im Endspiel wagte sie sich sogar entgegen ihrer Gewohnheit ans Netz und vollierte gekonnt.
Dabei hat man früher soviel über Lindsay Davenport geschmunzelt, über dieses wuchtige Mädchen, 1,89 Meter lang und offensichtlich mit einigen Pfunden zuviel beladen. Sie holte bei Olympia 1996 in Atlanta Gold und galt trotzdem weiterhin als Beweis dafür, daß auch Fleischbälle Sport treiben können. Auch Davenport selbst plagten arge Selbstzweifel. Sie sah auf sich, sah auf die Schlanken und fühlte sich ganz klein. „Ich hatte immer Angst, die anderen Mädchen würden sich über mich lustig machen“, sagt Davenport. Zumal sie auch nie den Zuspruch genoß, den andere Talente erfuhren: „Über mich hat nie jemand gesagt: Die wird mal großartig.“ Aus ihren Komplexen rettete sie sich erst, als ihr klar wurde: „Es hat keinen Sinn, darauf zu hören, was andere sagen.“ Und sie mit viel Ehrgeiz und Spaß am Fleiß an sich zu arbeiten begann. Heute ist sie schlank und Weltranglisten- Zweite. Und sagt: „Ich habe vielen bewiesen, daß sie falsch lagen mit ihrer Meinung über mich.“
Vielleicht ist es sogar ein Vorteil für Lindsay Davenport, kein getätschelter Teenager gewesen zu sein. Martina Hingis zum Beispiel, 17 Jahre alt und schon ein Weltstar, hat in diesem Jahr soviel Selbstbewußtsein gezeigt, daß sie beizeiten ihren Job vernachlässigte. Sie fand sich gut, und zwar so gut, daß sie vom Tennisplatz auf die Bühne strebte. Sie sah Kournikova posieren und sagte: das will ich auch. Sie drehte Werbespots, ließ sich im knappen Bikini ablichten und veränderte ihr Image vom unschuldigen Talent zur gesellschaftsfähigen Kindfrau. „Wenn du Nummer eins der Welt bist, hast du viel mehr Verpflichtungen“, sagt sie. Aber sie mag den Flirt mit den Medien auch, weshalb sie es in Kauf nahm, die Konzentration auf ihren Sport zu verlieren. Sie ist zwar immer noch konstant gut, hat 1998 die Australian Open gewonnen, war im Halbfinale der French Open und in Wimbledon, im Finale der US Open und hat den ersten Weltranglisten-Platz gehalten. Aber sie hat nicht mehr drei Grand-Slam- Titel gewonnen wie 1997. Sie spürt wohl selbst, daß sie künftig wieder mehr üben muß. Nach ihrer Niederlage gegen Davenport wirkte sie gefaßt, aber geknickt: „Ich will meine Nummer-eins-Position nicht verlieren.“
Das Frauentennis ist ein bunter Zirkus, in dem die verschiedensten Charaktere um dieselben Titel kämpfen. Davenport findet das gut. Sie hat nichts dagegen, daß Hingis oder Kournikova auf den Titelblättern erscheinen und sie nicht. „Die Jugendlichen“, sagt Lindsay Davenport, „brauchen verschiedene Typen, zu denen sie aufschauen können.“ Sie ist eben der stillere Typ. Den man nur fotografiert, wenn er wirklich etwas erreicht hat.
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