: Die Sau lacht, der Bauer freut sich. 10 Jahre „Neuland“: Als kleine Oase jenseits von Turbomast und Intensivhaltung hat die bäuerliche Erzeugergemeinschaft Maßstäbe gesetzt. Auch für die Fleischqualität. Doch jetzt stehen Entscheidungen an. Bleibt „Neuland“ in der Nische oder nutzt man die Chance, sich als Qualitätserzeuger bundesweit zu etablieren? Von Manfred Kriener
Schweine mit Sonnenbrand
Am Schlachttag wurde fotografiert. Die tote Sau lag im Schnee, der Metzger stand lachend davor. Und unsereiner mußte Blut rühren, damit es für die Wurst geschmeidig blieb. Im elterlichen Haus gehörte der Schweinekoben zum festen Inventar. Die Sau bekam Küchenabfälle, vermischt mit Kleie und heißem Wasser, die Kinder durften beim Füttern zusehen. Im Winter wurde das Tier in der heimischen Waschküche verwurstet. Unvergeßlich ist der Geschmack des frischen Kopffleisches: Der Vater warf grobes Salz auf den Holztisch, Opa säbelte riesige Scheiben selbst gebackenen Brotes herunter, und der Metzger holte den dampfenden Kopf der Sau aus dem Kessel, schnitt Fleisch auf und verteilte es. Die Familie stippte heiße Brocken ins Salz und verschlang alles mit rollenden Augen.
Irgendwann wurde das Schwein abgeschafft, man ging zum Metzger, es gab keine Fotos mehr, und das Schnitzel begann in der Pfanne zusammenzuschnurren. Dann kamen Tranquilizer, Antibiotika, und der große Horst Stern filmte kollabiertes Borstenvieh mit abgebissenen Schwänzen. Das deutsche Hausschwein hatte jetzt zusätzliche Koteletts und Herzrhythmusstörungen, der Esser ein schlechtes Gewissen. Wir aßen öfter Fisch. Das blieb so, bis viele Jahre später der „Alternativfleischer“ öffnete. Plötzlich erinnerte der Schweinebraten wieder an den Kopf aus der Waschküche. So wurde das blutrührende Kind zum „Neuland“- Kunden.
In dieser Woche vor zehn Jahren, am 20. September 1988 genau, wurde „Neuland“ gegründet, der „Verein für tiergerechte und umweltschonende Nutztierhaltung“. Den Namen hatte sich Gerd Billen ausgedacht, der damals bei der Verbraucherinitiative arbeitete und heute Geschäftsführer beim Naturschutzbund ist. Der Name war naheliegend, weil man tatsächlich Neuland betrat: Irgendwo in der Mitte zwischen landwirtschaftlicher Idylle und moderner Intensivmast sollte eine neue Tierhaltung ausprobiert werden. Gründerväter waren neben der Verbraucherinitiative der Umweltverband BUND, die Bauernopposition „Aktionsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ (ABL), der Tierschutzbund und der Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen Buko. Sie waren der ideelle Träger, stellten Richtlinien für eine vernünftige Haltung auf und übernahmen Kontrolle und Anerkennung der Betriebe.
Gerd Billen erinnert sich, wie damals leidenschaftlich über die Frage diskutiert wurde, ob freilaufende Schweine eigentlich einen Sonnenbrand bekommen, und ob man deshalb Sonnenschutzmittel in die Liste erlaubter Mittel aufnehmen müsse. An alles wurde gedacht. Nur an den Erfolg mochte Billen nicht so richtig glauben. Er witterte „Kommunikationsprobleme“: Wie sollte man den Kunden in der Metzgerei die andere Haltung und höheren Preise erklären? „Die Leute wollen ja keine Vorträge, sie wollen Schnitzel und Hackepeter.“
Heute, zehn Jahre später hat „Neuland“ insgesamt 210 Höfe unter Vertrag, beliefert 70 Fleischer, sieben Mensen und mehr als 100 Großküchen. Jahresumsatz: knapp 20 Millionen Mark. „Da werden doch etliche Schweinehälften bewegt“, sagt Mitgründer Billen vergnügt. Hugo Gödde, Geschäftsführer der Neuland-Vermarktungs GmbH Westfalen, bleibt da reservierter: „Das ist nicht schlecht, aber auch nicht so doll.“
Geblieben sind die Kommunikationsprobleme. Nach der Umstellung laufen den Metzgern die Kunden davon. Fleisch und Wurst sind dann teurer als zuvor, jeder fünfte Käufer bleibt weg. Da heißt es Nerven bewahren, bis die neue Kundschaft kommt. Die Verkäuferinnen müssen jetzt „mehr als eine Scheibe Wurst abschneiden“ (Gödde), sie müssen die Preise erklären, Faltblätter verteilen, lächeln. Die Kunden fragen dann gerne: „Wenn Ihr Fleisch jetzt so gut ist, war es früher eigentlich schlecht?“
Vor allem in den Großstädten von Bonn bis Berlin, in Bremen, Hamburg, Gelsenkirchen und Dortmund haben sich die Metzger mit dem etwas anderen Angebot etabliert und machen gute Geschäfte. Mancherorts ist „Neulandfleisch“ schick geworden. Und mit wachsendem Druck der Supermärkte und Umsatzverlusten der Metzger wird die Umstellung für manchen zur letzten Chance. Neue Fleischqualität, sich von den Billigheimern in den Supermärkten absetzen, Fleisch mit gutem Gewissen verkaufen: „Es gibt solche modern denkenden Metzger“, sagt Gödde. Er sagt aber auch: „Es ist leichter, einen Bauern umzustellen als einen Metzger.“
Geholfen hat das „Neuland“- Programm vor allem den Erzeugern. Kleinen und mittleren Betrieben bietet es gute Überlebenschancen. „Den Bauern macht es dann“, so Gödde, „endlich wieder Spaß, in den Stall zu gehen und die Tiere herumspringen zu sehen.“ „Neuland“-Erzeuger erhalten Festpreise. Für Schweinefleisch liegt das Fixum seit sieben Jahren bei 3,60 Mark das Kilo. Doch wie lange ist dieser Preis noch zu halten? Der Preis für konventionelles Schweinefleisch lag 1997noch bei über drei Mark, gegenwärtig fällt er in Richtung zwei Mark.
Die Schiffschaukelbewegungen des Marktes haben Konsequenzen: „Neuland“-Metzger jammern, weil ihr Fleisch durch den Preisverfall im Vergleich zum Normalschnitzel immer teurer wird. Gleichzeitig klingelt bei Gödde öfter das Telefon: Bauern wollen auf die Ökoschiene springen, weil sie dort mehr Geld kriegen. Der Geschäftsführer: „Jetzt kommen die Glücksritter.“
Neben dem Preiskarussel gibt es aber auch hausgemachte Probleme: das Marketing. „Neuland“ sei „ein Körper ohne Kopf“, sagt der Stuttgarter Agrarexperte Prof. Tilman Becker. Er vermißt die strategische Unternehmensführung, Öffentlichkeitsarbeit, Werbung . Die Konkurrenz investiere Millionen in neue Fleischprogramme. „Wo sind die Millionen von Neuland?“
Die Ökoerzeuger waren als kleine bäuerliche Erzeugergemeinschaft gestartet, jetzt ist es ein expandierendes Unternehmen. „Wo bewegen wir uns künftig auf dem Markt“, fragt Gödde, „wie soll unser Unternehmen künftig aussehen?“ Will man mit Großabnehmern zusammenarbeiten, sich über die drei Stammländer Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen hinaus ausdehen? „Wir dürfen nicht zum Tierschutz-Aldi werden“, warnt Gödde. Er will sich nicht von Großabnehmern abhängig machen, die dann die Preise diktieren. Klein und bescheiden soll es aber auch nicht weitergehen.
So gilt es denn, die Chancen und die eigene Meinungsführerschaft endlich zu nutzen. Feinschmecker- Magazine und Top-Metzger, Gastronomen und Medien loben zwar ständig die Qualität, doch den großen Durchbruch hat „Neuland“ noch nicht geschafft. Will man weiter in der behaglichen Nische bleiben oder die Gunst der Stunde nutzen und Deutschlands führender Qualitätserzeuger werden? Bekommt man die bäuerlichen Interessen unter den Hut einer modernen Handelsorganisation? Gödde: „Das ist die Aufgabe der nächsten zehn Jahre.“
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