: Politiker angeschmiert: Freiheit für Graffiti-Sprayer
■ Nach einem Urteil des Kammergerichts bleiben Graffiti dann straffrei, wenn keine Sachbeschädigungen entstehen. Diepgen empört: Kein Schlupfloch für Schmierfinken
Berlin steht an der Schwelle zu einem neuen Graffiti-Zeitalter: Nach einem erst jetzt bekanntgewordenem Beschluß des Berliner Kammergerichts wird ein Graffito nicht mehr automatisch als Sachbeschädigung gewertet. Die CDU, einschließlich des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen, machte daraufhin den Eindruck, als fürchte sie jetzt den rechtsfreien Raum in der Stadt. Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) schloß eine Bundesratsinitiative nicht aus, um Graffiti auch künftig strafrechtlich verfolgen zu können.
Ein Graffiti-Sprayer bleibt laut Berliner Kammergericht dann straffrei, wenn nach der Beseitigung des Graffitos keine Schäden zurückbleiben, also etwa wenn sich die Schrift abwaschen läßt. Die Richter stützten sich auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
Die Staatsanwaltschaft war mit dieser Entscheidung nicht sehr glücklich. Künftig müsse in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die Graffiti substanzschädigend seien oder nicht. Dafür seien oft Sachverständige nötig, hieß es.
Die CDU reagierte gestern mit völligem Unverständnis. Diepgen warf den Richtern vor, daß dieses Urteil „sozialschädigendes Verhalten billigt“. In einem geordneten Rechtsstaat dürfe es aber für „Schmierfinken kein Schlupfloch“ geben.
Beistand erhielt Diepgen vom parlamentarischen Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Roland Gewalt. Er sprach von einem „Signal in die falsche Richtung“. Potentielle Straftäter könnten sich ermuntert fühlen, „mit ihren Schmierereien fortzufahren“. Nach der Bundestagswahl, schlug Gewalt vor, solle man überlegen, Graffiti als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, die mit Bußgeld belegt würden.
Kritik gab es auch von der FDP. Die Rechtssprechung habe langwierige Gerichtsverfahren zur Folge und verschleudere Steuergelder, so der Landesverband. Polizeipräsident Hagen Saberschinsky forderte die Politik zu raschem Handeln auf. Andernfalls müsse die Polizei reagieren. Das könne zur Auflösung der Ermittlungsgruppe Graffiti von Polizei und Bundesgrenzschutz führen.
Genau das verlangte die jugendpolitische Sprecherin der Grünen, Jeannette Martins. Zudem sollten die Verfahren gegen Graffiti-Sprayer eingestellt werden. juw
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