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Tod nach Tapetenwechsel

Der Chefideologe der DDR verstarb am Freitag. Kurt Hager hat jahrzehntelang alle Kurswechsel der SED mitgetragen. Bis zu seinem Tod blieb er gläubiger Marxist  ■ Aus Berlin Robin Alexander

Im Neuen Deutschland wäre es früher die Spitzenmeldung auf Seite 1 gewesen: Kurt Hager, Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, ist nach langer, schwerer Krankheit verstorben.

Hager hatte jahrzehntelang eine exponierte Rolle in der DDR: Er gab den SED-Chefideologen. Seine Aufgabe war freilich nicht, die Parteilinie festzulegen, sondern ihre Übereinstimmung mit dem Marxismus-Leninismus überzeugend darzustellen. Die DKP gab gestern bekannt, daß Kurt Hager am Freitag im Alter von 86 Jahren in Berlin verstorben ist. In Württemberg geboren, schloß der junge Hager sich schon mit 18 Jahren der KPD an. Während der Nazizeit arbeitete er als Journalist im spanischen Bürgerkrieg, später lebte er in England. Hager wurde in der DDR Philosophieprofessor an der Berliner Humboldt-Universität und 1963 Politbüromitglied.

Getreu dem Prinzip, daß die jeweils aktuelle Meinung der Partei auch gewiß die richtige sei, vollzog Hager alle Kurswechsel der SED persönlich und öffentlich mit. Früher Stalinist, verdammte er später die Politik des Diktators. Nach dem Sturz Ulbrichts wandelte er sich von dessen Anhänger zu einem Kritiker. Als 1989 die Macht der SED schwand, sprach Hager plötzlich von „Dialog“. Zu spät.

Im April 1987 lieferte Hager ein Bonmot, an das ihn die DDR-Bürger 1989 unliebsam erinnerten, als sie auf Demonstrationen in Berlin neben Transparenten auch Tapetenrollen schwenkten. „Würden Sie, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung tapeziert, Ihre Wohnung ebenfalls neu tapezieren?“ hatte Hager zwei Jahre vorher im Stern- Interview auf die Frage zurückgegegeben, wie es denn mit Glasnost und Perestroika in der DDR stünde. Danach hatte „Tapeten- Kutte“ seinen Spitznamen weg.

Aus dem Politbüroprozeß schied Hager im Mai 1996 wegen seines schlechten Gesundheitszustandes aus. Der Chefideologe war geistig flexibler als seine Mitgreise im Politbüro. Einem orthodoxen Marxismus blieb Hager dennoch bis zu seinem Tod treu. Manchmal verwies er gar ins Jenseits auf den Glaubensstifter des Materialismus. Ob der Schießbefehl an der Mauer ein Fehler gewesen sei, hätte seiner Meinung nach nur ein Mensch beurteilen können: Karl Marx.

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