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Eine Stadt, offen für alle

Alle schauten nach Rostock. Die NPD marschierte zwar in geschlossener Formation, durfte aber nicht nach Lichtenhagen. Dort feierte das „Bündnis gegen Rechts“ ein buntes Fest  ■ Von Heike Haarhoff

Ein junger Mann in Springerstiefeln und mit Tätowierung auf dem kahl geschorenen Kopf kauert übermüdet auf dem Bahnsteig. 30 Meter entfernt kuschelt ein Punker-Pärchen. Man beäugt sich skeptisch. Die ersten S-Bahnen fahren in den Rostocker Hauptbahnhof ein. Skin und Punks wählen getrennte Waggons. Wortlos.

Es ist 5.30 Uhr in Rostock, und es ist still, wie es sonntags morgens still ist in einer Großstadt. Dabei sind die Straßen in der Innenstadt keineswegs leergefegt. Polizeibusse überwachen das Geschehen; vor dem Bahnhof haben 15 Uniformierte mit Schlagstöcken und Plastikknieschonern einen Halbkreis gebildet. Sie sorgen dafür, daß die Nachzügler der 13.500 Teilnehmer an den drei Demonstrationen von der rechtsextremen NPD (3.000), vom „Bündnis gegen Rechts“ (8.000) und von den Autonomen (2.500), die am Vortag durch Rostock gezogen sind, nach Hause finden und sich nicht doch noch schnell zum Abschluß eins überhauen. Zumal „die Nacht hervorragend gelaufen ist“, wie der Rostocker Polizeisprecher Volker Werner erleichtert feststellt. 127 vorübergehende Festnahmen, sieben Haftanträge gegen Linke und Rechte und ein Schwerverletzter, der am Rande der Autonomen- Demo am Samstag mittag angefahren wurde und inzwischen außer Lebensgefahr ist, das ist die statistische Bilanz des Wochenendes.

Ausgerechnet im Stadtteil Lichtenhagen, wo vor sechs Jahren eine Unterkunft für Asylbewerber und ein Wohnheim für vietnamesische Gastarbeiter von Rechtsradikalen unter dem Beifall von Schaulustigen in Brand gesteckt worden waren, wollte die rechtsextreme NPD ihre bundesweite Wahlkampf-Abschlußkundgebung abhalten. Umgehend mobilisierte das „Bündnis gegen Rechts“ – Parteien, Gewerkschaften, Vereine und Universitäten – zur Gegen-Demo nach Lichtenhagen. 6.000 Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet wurden nach Rostock beordert Gewalt zwischen Rechts und Links schien unvermeidlich.

Vor Gericht konnte die Stadt Rostock in letzter Minute immerhin durchsetzen, daß der NPD- Aufmarsch statt in Lichtenhagen im Nordwesten im Plattenbauviertel Dierkow im Osten stattfand. Zwischen Dierkow und Lichtenhagen, wo das Bündnis gegen Rechts unter dem Motto „Bunt statt braun“ zum großen Friedensfest lud, fließt die Warne. Und so ist es fast unmöglich, vom Werftdreieck, wo sich die Linke formiert, wo der DGB-Kreis-Chef Reinhard Kniesch „für eine friedliche, weltoffene und demokratische Gesellschaft“ plädiert, wo der Ministerpräsidenten-Kandidat der SPD in Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff, Hände schüttelt, und wo der Rostocker Uni-Rektor erinnert, daß „die Würde jedes Menschen unantastbar“ ist, nach Dierkow zu gelangen.

Die Straßenbahnen kommen nur langsam vorwärts. Menschen auf Gleisen halten Transparente hoch. Den Rest regelt die Polizei. Auf der Langen Straße in der City – auf dem Weg von Lichtenhagen nach Dierkow – heißt es endgültig aussteigen; demonstrierende Autonome und Polizei werfen sich gegenseitig via Megaphon Behinderung vor. Als ein Grüppchen Richtung Dierkow ausschert, kommt es zum Tumult. Steine und Flaschen fliegen. Ein Mann wird lebensgefährlich angefahren – gezielt und von Rechtsextremen, behaupten Augenzeugen aus der autonomen Szene. Ein Unfall, sagt die Polizei.

Währenddessen folgen in Dierkow 3.000 glatzköpfige „Kameraden“, viele sehr jung, viele sehr alt, dem Befehl ihrer Demo-Leitung, sich „nach NPD-Landesverbänden“ zu ordnen. Es herrscht „absolutes Rauch- und Alkoholverbot“, aus dem Lautsprecherwagen schallt „Soldaten sind Soldaten, in Worten wie in Taten.“

Die Szenerie hat etwas Martialisches, wie die Skins mit stumpfem Blick und im militärischen Gleichschritt zwischen den Plattenbauten von Dierkow marschieren und haßerfüllt „To-des-strafe für Kin- der-schänder“, „Ar-beits-plätze zu-erst für Deutsche“ oder „Hier mar-schiert der na-tio-nale Widerstand“ skandieren. Viele tragen NPD-Fahnen und Militärkappen, und der prominente Neonazi Manfred Roeder, gegen den, weil er unlängst den Holocaust leugnete, ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung läuft und der für die NPD in den Bundestag einziehen will, sagt, daß der Verdacht, die „jungen Leute“ seien Neonazis, eine „blöde, üble Verleumdung“ sei. NPD-Spitzenkandidat Kowalski erklärt, der Erfolg der NPD-Demo sei, „die Öffentlichkeit auf uns zu lenken“. Kommentar Seite 12

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