: Mahathir schlägt zurück
Malaysias Premierminister Mahathir läßt seinen einstigen Stellverteter Anwar Ibrahim verhaften. Der hatte zuvor den autoritären Mahathir zum Rücktritt aufgefordert ■ Von Jutta Lietsch
Bangkok (taz) – In Malaysia ist der Anfang September entlassene Finanzminister und stellvertretende Premierminister Anwar Ibrahim gestern abend von der Polizei festgenommen worden. Nach Berichten von Augenzeugen wurde Anwar aus seinem Haus in einem Vorort von Kuala Lumpur abgeführt, das von Spezialeinheiten der Polizei abgeriegelt worden sei. Sein Anwalt sagte, der Exminister werde zum Polizeihauptquartier gebracht, wo gegen ihn ein Verfahren wegen sexueller Verfehlungen eröffnet werden solle.
Anwar selbst wirft dem Ministerpräsidenten Verschleuderung staatlicher Finanzmittel vor und rief seit seiner Entlassung mehrfach zu politischen Reformen auf. Noch am gestrigen Nachmittag lag ein Hauch von „People's Power“ über Kuala Lumpur: „Ich bin der Regent des Volkes“, rief der 51jährige Anwar Ibrahim triumphierend, als 20.000 Menschen in der Hauptstadt auf die Straße gingen, „Mahathir muß zurücktreten!“
Das hatte Kuala Lumpur seit Jahren nicht erlebt: Demonstranten, die offen den Rücktritt der Regierung forderten. „Wir können nicht erlauben, daß wir von einem Diktator regiert werden“, erklärte Anwar. Er forderte „Reformen“ und ein Ende von „Korruption und Vetternwirtschaft“. Demonstranten riefen: „Mahathir muß sofort gehen, lang lebe Anwar!“
Mahathir hatte seinen Stellvertreter und Vertrauten Anwar am 2. September offizielle wegen sexueller Verfehlungen, in Wirklichkeit wegen fundamentaler Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit der Finanz- und Währungskrise aller Ämter enthoben. Anwar wies die Vorwürfe zurück und blies zum Gegenangriff.
Doch am Samstag waren zwei enge Vertraute des Politikers wegen „Sodomie“ mit Anwar zu Haftstrafen verurteilt worden. „Hunderte von Oppositionellen“ seien in den letzten Tagen im ganzen Land von der Geheimpolizei verhört und zeitweise festgenommen worden, sagte Anwar. Mehrere seiner Anhänger seien verschwunden.
Anwar verglich das Vorgehen der Behörden in den letzten Tagen mehrfach mit der Gestapo, der Stasi, Südafrikas Geheimpolizei unter der Apartheid und dem israelischen Mossad. Mahathir sei „geistig nicht ganz gesund“, wetterte der ehemalige Stellvertreter, der den Premier noch vor wenigen Wochen als seinen „Vater“, „Lehrer“ und „Freund“ gepriesen hatte.
Nachdem Anwar am 2. September entlassen wurde, hat die Polizei angekündigt, gegen ihn werde wegen sexueller Vergehen, Landesverrats und Amtsmißbrauchs ermittelt. Obwohl die malaysischen Gesetze jede unangemeldete Versammlung von mehr als fünf Personen verbieten, sammelten sich bei Kundgebungen Anwars in verschiedenen Städten des Landes Zehntausende Regierungskritiker. Er sei bislang noch nicht wie geplant verhaftet worden, sagte Anwar noch gestern, weil die Regierung Unruhen während der gegenwärtig in Kuala Lumpur stattfindenden Commonwealth-Spiele und wegen des Besuchs der britischen Königin nicht stören wolle. Doch er sollte sich geirrt haben.
Beobachter befürchten, daß es zu weiteren Verhaftungen von Oppositionellen kommen könnte. Nach Malaysias Sicherheitsgesetz ist eine Verhaftung ohne Anklage von bis zu zwei Jahren möglich.
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