: Schlammschlacht mit Hormongift
■ Während ostfriesische Insulaner gegen die Verklappung von TBT-verseuchtem Hafenschlick aus Bremen kämpfen, schüttet ihnen Niedersachsen TBT-Schlamm aus Bensersiel vor die Haustür
Empört hat sich der Bürgermeister von Wangerooge, Holger Kohls, vor zwei Tagen gegen die weitere Verklappung von mit Tributylzinn vergiftetem Baggergut aus den Überseehäfen Bremerhavens in die Nordsee ausgesprochen. „Sowas können wir unseren Gästen nicht erklären“, hatte er den Protest der Insulaner gegen den Umweltschmutz begründet. Doch noch während die gemeinsame Resolution aller Inselbürgermeister für ein Ende der Verklappung von TBT-Schlamm in der Nordsee an die Medien ging, ließen mit vergiftetem Baggergut beladene Schuten bereits neue Giftfracht ins Wattenmeer rauschen. Es handelte sich um Hafenschlick aus dem niedersächsischen Hafen Bensersiel.
Das ist erlaubt: Die Bezirksregierung Weser-Ems hat, wie erst jetzt bekannt wurde, eine vorläufige Verklappungsgenehmigung für 100.000 Kubikmeter Hafenschlick aus Bensersiel und eine unbekannte Menge aus Norddeich erteilt. Die Genehmigung gilt bis zum Jahr 2001. Jedoch heißt es offiziell, der Schlick aus Norddeich werde an Land deponiert.
Der Schlamm, der zur Zeit aus den Hafenbecken Bensersiels gebaggert wird, damit dort die Wassertiefe erhalten bleibt, gilt – wie auch der Schlick aus den Hafenbecken Norddeichs und Dorumersiels – als höchst belastet. Die Umweltschutzorganisation WWF beziffert die TBT-Belastung in allen ostfriesischen Häfen auf zwischen 500 bis 5.000 Mikrogramm pro Kilo Trockensubstanz (TS); das liegt weit über dem anvisierten Grenzwert von 100 Mikrogramm pro Kilo (TS), bis zu dem die Behörde offiziellen Angaben zufolge die Schlickverklappung noch erlaubt. Ein Sprecher der Bezirksregierung sagt dazu nur: „Wir bestätigen diese Werte für Bensersiel nicht.“
Es ist jedoch bekannt, daß die durch das Hormongift TBT verursachten biologischen Schäden bereits meßbar sind. Das Gift aus der Schiffsfarbe, die das Anwachsen von geschwindigkeitshemmendem Meeresgetier verhindern soll, führt in den Küstenhäfen zum Aussterben und zur Unfruchtbarkeit von Meerestieren; Muscheln zeigen bereits deutliche Wachstumsschäden. Dennoch wird der Giftschlamm aus Bensersiel jetzt zwischen der Küste und der Insel Langeoog direkt neben einer Miesmuschelbank verklappt.
Eine noch nicht abgeschlossene Studie des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie untersucht unterdessen noch, ob der drastische Rückgang des Miesmuschelbestandes in der Nordsee auf TBT zurückzuführen ist. Französische Experten beziffern die durch TBT vor der Bretagne in den altlantischen Austernbänken angerichteten Schäden zwischen 1977 und 1985 derweil auf fast 200 Millionen Mark.
Das Verklappen widerspricht auch allen Forderungen der „International Maritime Organisation“ (IMO) der Vereinten Nationen, die vorschlägt, nicht mehr als 10 Mikrogramm pro Kilo Trockensediment TBT im Meeres- und Flußsediment zu akzeptieren. In Deutschland galt bislang die Praxis, Baggergut nur an solchen Stellen im Meer zu verklappen, die gleiche Belastungswerte aufweisen wie der hineingekippte Dreck. Obwohl das Wattenmeer nach Angaben des Regierungsbezirks durchgängig mit vergleichsweise geringen 20 Mikrogramm pro Kilo TBT im Schlick belastet ist, landet der Schlick aus Bensersiel jetzt im gering belasteten Streifen vor Langeoog.
Seit zwanzig Jahren, bis zum vorläufigen Verbot von 1997, verklappt das Land Bremen TBT-Schlick im Wattenmeer. Schon vor zehn Jahren warnte die International Maritime Organisation vor dem Bremerhavener Schlamm. Noch immer hofft Bremen, rund 250.000 Kubikmeter TBT-Schlick vor Wangerooge in die Nordsee kippen zu dürfen. Ein entsprechender Antrag Bremens ist aber noch nicht an die niedersächsischen Behörden gestellt worden.
Thomas Schumacher
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