: Rechenkünstler stürzt Waigel in Milliarden-Loch
■ Ein Kölner Versicherungsmathematiker soll 1994 den Vorruhestand der Postler „vergessen“ haben – und jetzt wieder für einen gravierenden Fehler verantwortlich sein
Berlin/Bonn (taz) – Chaos im Finanzministerium. Aufgrund von Rechenfehlern sind kurz nach der Haushaltsdebatte zwei Fehlbeträge von zusammen rund 11 Milliarden Mark für 1999 zu erwarten. Zum einen muß Finanzminister Theo Waigel (CSU) 6 Milliarden Mark mehr für Pensionen ehemaliger Bundespostler überweisen als geplant. Diese Lücke beruhe auf einem Rechenfehler des Versicherungsmathematikers Klaus Heubeck aus dem Jahr 1994, erklärte gestern das Finanzministerium. Obwohl dies bereits im Sommer im Haushaltsausschuß aufflog, hat sich Waigel bei der Prognose der Steuereinnahmen für 1999 erneut auf das Büro Dr. Heubeck verlassen – was den Kassenwart nun weitere 5 Milliarden Mark kosten wird.
Die Kontrollinstanzen „haben einen Fehler gemacht“, gab gestern ein Waigel- Sprecher zu. Damit könnte der Etat 1999 verfassungswidrig werden, da die Nettokreditaufnahme (bislang 56 Milliarden Mark) dann die Investitionen von 57 Milliarden Mark überschreiten würde. Dazu wollte sich Waigels Sprecher nicht äußern, „bis wir genau wissen, wie hoch die Ausfälle im Haushalt sind“.
„Waigel trickst bis zur letzten Minute“, kommentierte der Haushaltssprecher der SPD, Karl Diller. „Seinen 99er Haushalt kann man nur in den Papierkorb werfen.“ Der grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger dazu: „Die Verantwortung für die Fehlberechnungen liegt nicht bei Gutachter Heubeck, sondern beim Finanzministerium.“
Waigels Beamte leugnen die beiden Fehlleistungen nicht: Erstens sei Ende 1995 bemerkt worden, daß die von den Nachfolgeunternehmen der privatisierten Deutschen Bundespost geleisteten Pensionszahlungen an die Bundeskasse viel zu gering ausfallen. Das Kölner Büro Dr. Heubeck hatte für die Bundesregierung die Beträge ausgerechnet. Es habe dabei die Vorruheständler nicht berücksichtigt, behaupten Waigels Beamte. Die Leistungen waren dann gesetzlich auf 7,2 Milliarden Mark jährlich fixiert worden – obwohl sich die Kosten für die Altersversorgung der ehemaligen Postbediensteten auf 10 Milliarden Mark belaufen.
Zweitens haben die Beamten Waigels die Steuerschätzung 1999 mittels sogenannter Sterbetafeln berechnet, die letztmalig im Jahr 1983 erstellt wurden – ebenfalls durch das Büro Dr. Heubeck. Das Finanzministerium bestätigte, daß die Listen veraltet waren: „Wir hatten keine anderen Unterlagen, aus Mangel haben wir auf die Sterbetafeln zurückgegriffen.“ Mit Hilfe von Sterbetafeln berechnen Betriebe, wieviel Geld sie für die Altersversorgung ihrer Mitarbeiter zurückstellen müssen.
Heubeck sagte der taz, er wisse nicht, „was man mit meinen Zahlen gemacht hat“. Der 53jährige verteidigt sich, er habe die Vorruheständler der ehemaligen Post bei seinen Berechnungen nicht berücksichtigt, „weil ich keine Auftrag dazu hatte und weil das zweite Postreformgesetz noch gar nicht bestanden hat“. Christian Füller
Kommentar Seite 12
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen