: Die Kleinstadt macht keine schlaflosen Nächte
Umzug verkehrt: Rund 2.000 Arbeitsplätze werden in den nächsten Jahren von Berlin nach Bonn verlagert. Die betroffenen Beamten machen sich schon mit der Bonner Region vertraut. Mancher zieht lieber nach Köln ■ Von Jutta Wagemann
Die Wohnung ist eigentlich zu klein. Isa ist jetzt schon zwölf, ihr Bruder Philipp neun Jahre alt – und noch immer müssen sie zusammen in einem Zimmer wohnen. Es liegt nicht am Geld, daß Familie Neitzke noch keine größere Wohnung gefunden hat. Aber für die Schöneberger lohnt es sich nicht mehr, innerhalb von Berlin umzuziehen. Denn die Neitzkes müssen nach Bonn.
Als Ausgleich für die Bonner Region, die durch den Regierungsumzug mindestens 10.000 Arbeitsplätze an Berlin verliert, werden in den nächsten zwei Jahren rund 2.000 Arbeitsplätze von der Spree an den Rhein verlegt. 18 Institutionen ziehen nach Bonn um. Ein Großteil der insgesamt 5.000 Mitarbeiter kann jedoch in Berlin bleiben: Angehörigen des einfachen und mittleren Dienstes – Pförtnern, Boten, Sekretären, Sachbearbeitern – soll der Umzug erspart bleiben. Sie werden bei Tauschbehörden untergebracht, die von Bonn nach Berlin kommen.
Auch der gehobene Dienst wird in der Regel vom Regierungsumzug, egal in welcher Richtung, ausgenommen. Hermann Neitzke konnte sich auf diese Regelung jedoch nicht berufen. „Schon bei meiner Bewerbung hieß es, der Dienstsitz ist Wiesbaden, Bonn oder Berlin“, erzählt der Hauptsachbearbeiter bei der Berliner Außenstelle vom Statistischen Bundesamt. Mit Begeisterung geht er zwar nicht nach Bonn, aber „schlaflose Nächte habe ich deshalb nicht“, sagt er.
Wenn es nach Neitzke ginge, würde er für seine Familie und den Hund schon jetzt eine Wohnung in Bonn suchen. Doch der Umzugstermin seiner Behörde hat sich immer wieder verschoben. Erst hieß es Mitte 1999, inzwischen ist Ende 2000 angepeilt. Diese „Planungsunsicherheit“ nerve ihn. Deshalb richtet sich Hermann Neitzke darauf ein, erst einmal kurzfristig alleine nach Bonn zu ziehen, um dort in Ruhe eine Bleibe für seine Familie zu suchen.
Nur um die Finanzierung ihres Umzugs brauchen sich die Beamten keine Sorgen zu machen. Kosten für Anzeigen, Hotelübernachtungen und die Spedition übernimmt der Bund, also der Steuerzahler. Damit der Umzug nicht in Luxus ausartet, müssen Beamte drei Kostenvoranschläge von Speditionen bei ihren Behörden einreichen. Die billigste wird dann genommen, erläuterte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. Wochenend-Pendelei wird in den ersten zwei Jahren bezahlt.
In den Behörden ist auf jeden Fall Organisationstalent gefragt. In keinem Haus können alle Mitarbeiter in einem Rutsch nach Bonn wechseln. Meistens liegt das daran, daß auch die jeweilige Tauschbehörde nur nach und nach umzieht. Das Bundeswirtschaftsministerium etwa kommt in drei Stufen 1999 nach Berlin.
Damit der Austausch der Beamten und Angestellten reibungslos klappt, ist sein Partner, das Bundeskartellamt, ebenfalls gezwungen, Zug um Zug nach Bonn zu ziehen. Auch im Statistischen Bundesamt werden nacheinander nur einzelne „Aufgabengebiete“ verlagert, wie der Leiter der Berliner Zweigstelle, Hermann Glaab, erläutert.
Der Austausch der Beamten will ebenfalls organisiert sein. Die Tauschbehörde des Bundesamtes ist das Bundesinnenministerium. Mitarbeiter, die wechseln, brauchen eine Schulung. Wer ins Innenministerium geht, macht Kurse in Beamtenrecht, wer von dort ins Bundesamt wechselt, muß Statistik lernen.
Von den 900 Mitarbeitern des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ziehen etwa 600 nach Bonn. Die Zurückbleibenden müssen sich demnächst in neue Aufgaben in der Bundestagsverwaltung und den Bundestagsfraktionen einarbeiten. Auch mit dem Bundesrat und dem Auswärtigen Amt werde als Tauschpartner verhandelt, sagte die Sprecherin des Bundesinstituts, Karin Günther.
Pech haben die, die sich mit der Arbeit bei der Tauschbehörde nicht anfreunden können. Eva- Maria Schulze will nicht im Bundeswirtschaftsministerium arbeiten und geht daher mit dem Bundeskartellamt nach Bonn. Der gebürtigen Berlinerin fällt der Weggang aus der Stadt ausgesprochen schwer. Sie wußte zwar schon bei ihrer Bewerbung von dem Umzug, aber „damals war das noch sehr weit weg“.
Jetzt ist die Juristin entschlossen, in Köln zu wohnen. Bonn kennt sie, weil sie drei Monate zum Wirtschaftsministerium abgeordnet war. Dort stellte sie fest: „Bonn wurde so sehr auf Hauptstadt getrimmt, daß es den Charme einer Kleinstadt verloren hat, aber auch nicht das Angebot einer Großstadt bietet.“ Weil ihr das kulturelle Leben sehr wichtig ist, nimmt Eva- Maria Schulze lieber die Pendelei in Kauf.
Das Kleinstädtische stört die Neitzkes nicht. Sie seien dann näher an der Natur, hätten aber dennoch ein ausreichendes Angebot an Geschäften und Sportmöglichkeiten. Bonn sei schließlich kein Dorf. Sabine Neitzke, die als Hausfrau arbeitet, hat zudem festgestellt, daß „Berlin mehr Schmuddelecken hat“. Die Kriminalität sei in Bonn wahrscheinlich auch niedriger. Die Eifel gefällt der Familie besser als Brandenburg. Der rheinische Karneval allerdings, den Hermann Neitzke Fasching nennt, ist der Berliner Familie etwas suspekt. Doch immerhin: Am Rosenmontag wird in Bonn nicht gearbeitet.
Sorgenfrei gehen die Neitzkes jedoch nicht nach Bonn: Sie müssen ihre Großeltern in Berlin zurücklassen. Was passiert, wenn eine Oma zum Pflegefall wird? „Noch ist alles in Ordnung“, sagt Hermann Neitzke nachdenklich, „aber wer weiß, was in drei Jahren sein wird?“ Je mehr sich der Umzug nach hinten verschiebt, desto unruhiger wird die Familie. Als sich Neitzke zum Umzug bereit erklärte, hätte er einen pflegebedürftige oder behinderte Angehörige angeben können. Dann wäre er von der Umzugspflicht befreit worden. Die Kinder Isa und Philipp sind auch nicht begeistert: Sie können die Samstage nicht mehr bei den Großeltern verbringen.
Im Gegensatz zu Eva-Maria Schulze, die alleine nach Bonn geht, machen sich die Eltern Neitzke auch Gedanken um die Schulen, die ihre Kinder besuchen sollen. Wenn sich der Umzug bis 2002 verzögerte, hätte Isa wenigstens die mittlere Reife. Philipp würde nach dem Berliner Schulsystem erst in zwei Jahren auf eine weiterführende Schule wechseln. In Bonn endet die Grundschule jedoch nach der vierten Klasse. Philipp würde also mitten in der Unterstufe landen.
Die Kinder machen sich darüber noch nicht viele Gedanken. „Ich glaube, das wird so wie jetzt“, schätzt Isa, die gerade von der Grundschule auf die Gesamtschule gewechselt ist.
Informationsbroschüren über Schulen und Wohnungen in Bonn nehmen im Wohnzimmer der Familie Neitzke bereits einen ganzen Ordner ein. Auf Hochglanz präsentiert sich Bonn in bestem Licht. Die Hefte liegen neben den beiden Bonner Lokalzeitungen in den „Bonn-Zimmern“ aus, die in jeder Berliner Behörde eingerichtet wurden. Sogar eine Internet-Seite unter der Adresse www.umzug- nach-bonn.de gibt es schon.
Alle Berlin-Bonn-Umzügler befinden sich zur Zeit im Wartestand. Eva-Maria Schulze verzichtet auf neue Möbel für ihre Berliner Wohnung. Die will sie erst in Bonn kaufen. Familie Neitzke hat sich nach längerem Zögern doch noch zu einem neuen Teppichboden fürs Wohnzimmer durchgerungen. „Aber“, sagt Sabine Neitzke, „wir haben nur einen billigen genommen.“
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