: Einmal wahnsinnig berühmt werden
In Berlin steht der Journalist Dietmar J. wegen versuchten Mordes an einer Frau vor Gericht. Der karrierebewußte Publizist hat ein langes Vorstrafenregister als Sexualstraftäter und führte seit vielen Jahren ein Doppelleben ■ Von Plutonia Plarre
Etwas in seiner Stimme machte ihr Angst. Obwohl er am Telefon zuvorkommend und höflich klang, wußte die 26jährige Studentin für Betriebswirtschaft, Anja Taube*: „Diesen Mann lasse ich nie in meine Wohnung.“ Daß sie ihr Gefühl nicht ernst nahm, hätte sie beinahe das Leben gekostet.
Nach einer gescheiterten Liebesbeziehung rammte ihr der Gerichtsreporter Dietmar J. am 21. April 1998 auf einem Parkplatz vor der Berliner Fachhochschule für Wirtschaft eine Schere in den Hals.
Seit Mitte September steht der 46jährige in Berlin wegen versuchten Mordes vor Gericht. Am morgigen Donnerstag soll das Urteil verkündet werden.
Dietmar J. ist kein Unbekannter. Der freie Rundfunkjournalist hat versucht, sich durch die Herausgabe einer dreibändigen Dokumentation über den Prozeß gegen Egon Krenz und andere Politbüromitglieder einen Namen zu machen. Politiker wie Günter Gaus und Wolfgang Thierse hatten ihm Interviews gegeben, Wolfgang Ullmann schrieb das Vorwort für die Dokumentation, die unter dem Titel „Der Politbüro-Prozeß“ erschienen ist. Für die taz befragte er Egon Bahr 1996 über den Grundlagenvertrag die deutsch-deutschen Beziehungen.
Seine Vergangenheit, die ihn nun wieder eingeholt hat, hielt Dietmar J. strikt geheim, wenn er als Journalist in der Öffentlichkeit stand. Er war drei Jahre vor dem Politbüroprozeß aus sechsjähriger Haft entlassen worden, die er wegen Vergewaltigung verbüßen mußte. Der damalige Prozeß gegen ihn in Berlin hatte 1988 in der alternativen Öffentlichkeit für Diskussionen gesorgt, weil J. einen Monat lang Unterschlupf bei Freunden und Kollegen gefunden hatte, bevor er sich der Polizei stellte.
Im jetzigen Verfahren geht es für Dietmar J. um mehr als die Beurteilung seiner Tat.
Die 31. Strafkammer am Berliner Landgericht steht vor der Frage, ob Dietmar J. eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt und auf die Freiheitsstrafe eine Sicherungsverwahrung im Gefängnis folgen soll.
Seine Vorgeschichte ist einschlägig. J. ist außer wegen Vergewaltigung auch wegen sexueller Nötigung und Körperverletzung vorbestraft. Über 18 Jahre hat er in Gefängnissen zugebracht, mehrere Therapieversuche sind gescheitert.
Jede Frau, die mit ihm zu tun habe, sei in höchsten Maße gefährdet, hatte ein psychiatrischer Sachverständiger schon im Vergewaltigungsprozeß 1988 festgestellt.
Dietmar J. ist ein hagerer Mann mit dunklen Haaren und aschfahlem Gesicht. Seine rastlosen Augen können dem Blick des Gegenübers nicht standhalten. Er kommt aus einfachen Verhältnissen. Er ist intelligent und redegewandt, fährt aber beim kleinsten Widerspruch aus der Haut und nimmt nur wahr, was in sein Bild paßt.
Die Intensität und der Haß, mit denen er Frauen verfolge, die sich seinen Totalitätsansprüchen entziehen, trügen psychopathologische Züge, urteilten Sachverständige in früheren Verfahren gegen J. Über die Frage seiner Schuldfähigkeit waren sich die Gutachter uneinig: Die einen bescheinigten ihm eine schwere Persönlichkeitsfehlentwicklung und deshalb verminderte Schuldfähgkeit, andere hielten ihn für voll schuldfähig.
Auch der Studentin Anja Taube hatte Dietmar J. sein Vorleben verheimlicht. Die Arzttochter hatte im Januar 1997 im Berliner Stadtmagazin Tip annonciert: „Große Frau sucht W und M zum Squash, Tanzen und Weggehen.“ J. war der zwölfte von 180 Anrufern. Obwohl ihr das Telefonat mit ihm Furcht einflößte, ließ sich Anja Taube auf ein Treffen mit dem 20 Jahre älteren Mann ein. J. hatte sich ihr als „prominenter Journalist“ vorgestellt, der schon mehrere Bücher veröffentlicht habe.
Beim ersten Treffen zeigt J. der Studentin seine Dokumentation über den Politbüroprozeß und spielt ihr Interviewbänder vor. „Er hat erzählt, daß er mal wahnsinnig berühmt wird“, erinnert sich Anja Taube im Prozeß. Er habe gesagt, die Politbüroprozesse würden einmal „den gleichen Stellenwert“ erhalten wie die Nürnberger Prozesse.
Zwischen J. und der einen Kopf größeren, kräftig gebauten und hübschen Studentin entwickelt sich schnell eine intime Beziehung. Daß sie anfangs für den Mann geschwärmt hat, kann sich Anja Taube heute nur noch schwer eingestehen. „Ob ich verliebt war, weiß ich nicht. Vielleicht habe ich es mir eingeredet“, sagt sie im Zeugenstand.
Schon bald gibt es Konflikte. Versöhnungen und Trennungen wechseln sich ab. Anja Taube fühlt sich bevormundet. „Ich war die Dumme und er derjenige mit Lebenserfahrung“ – wenn ihm etwas nicht gepaßt habe, sei er ausgerastet. Nach zehn Monaten macht die Studentin Schluß. J. akzeptiert die Trennung zunächst.
„Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“, sagt er als Angeklagter vor Gericht. Im übrigen seien Männer für Anja Taube ja ohnehin „nur sexuelle Ausbeutungsobjekte“.
Es folgen viereinhalb Monate Funkstille – die Ruhe vor dem Sturm. Anja Taube verliebt sich in einen anderen Mann, mit dem sie noch heute zusammen ist. Gelegentlichen Anrufen, bei denen sich niemand meldet, mißt sie zunächst keine Bedeutung bei. Ende Februar 1998 geht dann der Terror los.
Immer öfter klingelt mitten in der Nacht bei Anja Taube, ihren Eltern und ihrem Bruder das Telefon. Nie ist jemand dran. Nach 700 Anrufen in vier Tagen erstattet die Familie Strafanzeige und beantragt eine Fangschaltung.
Fast zeitgleich läuft bei Anja Taube ein Fax von Dietmar J. ein, in dem er ihr unterstellt, sie höre seit der Trennung seinen Anrufbeantworter ab. Den Zahlencode kenne sie ja noch aus der gemeinsamen Zeit. „Wer sich mit mir anlegt, lernt mich kennen“, droht J. Wenn sie nicht mit ihm rede, werde er allen erzählen, „was für ein Schwein“ sie im Bett gewesen sei.
Die Familie legt sich eine Geheimnummer zu, die J. binnen weniger Tage in Erfahrung bringt. 3.000 bis 4.000 Anrufe in sechs Wochen sowie auf den Namen der Familie bestellte Taxen, Funk- und Feuerwehrwagen bringen Anja Taube an den Rand des Nervenzusammenbruchs.
Nachdem J. erfahren hat, daß gegen ihn Strafanzeigen vorliegen, droht er am Telefon: „Du alte Fotze, du bist so gut wie tot.“ Wenn sie die Anzeigen nicht zurücknehme, werde er ihre „Sexualpraktiken“ auf Flugblättern publik machen.
Am 21. April 1998 lauert der Angeklagte Anja Taube dann im Foyer ihrer Fachhochschule auf. Die junge Frau wähnt sich im Beisein einer Kommilitonin sicher und läßt ihn stehen. J. läuft ihr hinterher. Als sie eines der obszönen Flugblätter entdeckt, greift sie zu ihrem Handy, um die Polizei zu rufen. J. greift nach einer Schere in seiner Tasche und sticht mehrmals mit voller Kraft auf Anja Taube ein.
„Zähnefletschend und in rasender Wut“, erinnert sie sich vor Gericht. J. sagt: „Ich bin ausgerastet.“ Die Schere habe er nur zum Abschneiden der Kopierränder an den Flugblättern dabeigehabt.
Anja Taube mußte sofort operiert werden. Ein Ohr, ein Teil des Gesichts und Halses sind noch taub. Ihren linken Arm kann sie noch nicht wieder richtig bewegen. Sie leidet unter Alpträumen und traut sich nicht mehr unbewaffnet auf die Straße.
Wenn das Telefon klingelt, läuft ihr ein Schauer über den Rücken. Denn noch als J. schon in Untersuchungshaft saß, wurde sie telefonisch belästigt. Jemand „grunzte“ und drohte: „Du alte Schlampe, jetzt fühlst du dich wohl sicher. Ich kriege dich schon.“
J. indes zeigt vor Gericht keine Reue, vielmehr gibt er allein dem Opfer die Schuld: Wenn sich Anja Taube bei einem „Friedensgespräch“ zur Rücknahme der Strafanzeige entschlossen hätte, sagt er, wäre es nicht zu der Tat gekommen. Im Prozeß quält er sie mit Fragen nach ihrer Beziehung zu ihm und spielt den Überlegenen, bis die ansonsten gefaßte Zeugin in Tränen ausbricht.
Von der Öffentlichkeit, die er als Journalist sucht, fühlt sich J. als Angeklagter stets verfolgt. Schon bei seiner letzten Verurteilung wegen Vergewaltigung 1988 seien „die Journalisten über mich hergefallen und haben Lügen verbreitet“. Als er sich nach seiner Haftentlassung für den Politbüroprozeß akkreditiert habe, hätten Journalistenkollegen hinter seinem Rücken getuschelt. Deshalb habe er panische Angst gehabt vor den Strafanzeigen der Taubes und einem neuen Prozeß: „Ich wußte, daß mich die Presse zerreißen würde.“
1988 stand J. vor Gericht, weil er eine 20jährige Verwaltungsangestellte in seiner Wohnung vergewaltigt und bis zur Bewußtlosigkeit gewürgt hatte. Auch diese Frau hatte im Tip unter der Rubrik „Freizeitaktivitäten“ annonciert.
J. hatte zu der Zeit eine dreieinhalbjährige Haftstrafe wegen sexueller Nötigung abgesessen und war gerade ein halbes Jahr auf freiem Fuß. Seinem Opfer stellte er sich als freier Mitarbeiter des Alternativsenders Radio 100 vor. Unter dem Vorwand, er müsse zu Hause noch eine Sendung aufnehmen, hatte er die junge Frau in seine Wohnung gelockt.
Nach der Tat, die er zunächst abstritt, fand J. einen ganzen Monat lang in der Berliner Alternativszene Unterschlupf – auch bei Frauen –, bevor er sich stellte. Im Prozeß räumte er die Vergewaltigung erst ein, als er erkannte, das ihm andernfalls Sicherheitsverwahrung drohte.
Auch in den 70er Jahren hatte J. schon wiederholt vor Gericht gestanden, weil er gegenüber Frauen gewalttätig geworden war. 1983 wanderte er für dreieinhalb Jahre wegen sexueller Nötigung und Körperverletzung hinter Gitter. Die Schwester eines Mitgefangenen war sein Opfer. Während seines Hafturlaubs hatte er der Frau nachgestellt und sie erpreßt: Wenn sie sich nicht mit ihm treffe, werde er ihren Arbeitskollegen erzählen, daß ihr Bruder im Gefängnis sitze.
Nicht einmal die weiblichen Bediensteten im Knast waren vor J. sicher. Während seines letzten Knastaufenthaltes setzte er monatelang einer Vikarin und deren Familie zu. Er gab in ihrem Namen zahlreiche Bestellungen im Versandhandel auf, unter anderem bei Beate Uhse. J. hatte die Fürsorge der Vikarin für Liebe gehalten. Mit dem Terror wollte er eine Aussprache über die vermeintliche Beziehung erzwingen.
Im jetzigen Prozeß ist dem Angeklagten durchaus bewußt, daß es ums Ganze geht. „Wenn ich noch einmal eine Beziehung zu einer Frau eingehen würde“, beteuert J., „wäre nach dem ersten Konflikt Schluß.“ Zum Beweis dafür, daß er zu Frauen ein gutes Verhältnis haben kann, holt er eine 30jährige Angestellte in den Zeugenstand. Doch die zierliche Frau, die J. ebenfalls über eine Annonce kennengelernt hatte, beschrieb ihn nur als sehr interessanten Gesprächspartner. Am Telefon. Über ein Jahr lang habe er sie regelmäßig angerufen. Auf Nachfrage gibt sie jedoch zu, ihn nie getroffen zu haben. Der Grund: „Es war ein Gefühl von mir. Ich wollte diesen Mann nicht sehen.“
*Name von der Red. geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen