: Ausgrenzung
Diskriminierung kommt manchmal unscheinbar daher: kleine menschliche Grausamkeiten, kaum merkliche Benachteiligungen. Das kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen untersuchte in ausgiebigen Interviews Opfererfahrung bei TürkInnen. Dabei zeigt sich, daß die deutsche Gesellschaft durchaus nicht eindimensional wahrgenommen wird. Ein Bericht ■ Von Rainer Strobl
Wenn ich das erzähle, kommen mir die Tränen“, begann Zehra S. Beim Anblick der verschleierten Türkin hatte sich eine deutsche Frau die Nase zugehalten. „Diese Person, die nicht einmal die rituelle Waschung kennt“, hatte ihr Unreinheit unterstellt!
Für die etwa zwei Millionen in Deutschland lebenden Türken ist fremdenfeindliche Diskriminierung alltäglich: kleine menschliche Grausamkeiten, kaum merkliche Benachteiligung im öffentlichen Leben bis hin zu brutaler körperlicher Gewalt. Fast jeder zwölfte, so ergab eine Studie über die Situation ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland, wird im Verlauf eines Jahres in ausländerfeindlicher Absicht bedroht, jeder fünfte angepöbelt, jeder vierte beleidigt. Bei türkischen Männern unter 25 Jahren ist der Anteil in vielen Bereichen mehr als doppelt so hoch.
In ausführlichen Interviews mit türkischen Betroffenen ist das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen der Frage nachgegangen, wie die Betroffenen solche Erfahrungen verarbeiten. Zunächst zeigte sich, daß Übergriffe, die für den Außenstehenden ähnlich erscheinen, von den Opfern unterschiedlich bewertet werden. Lebensmittelverkäuferin Selda F. fühlt sich als unrein behandelt, wenn manche deutsche Kundinnen jede Berührung mit ihr mieden: „Wenn ich meine Hand ausstrecke, um das Geld zu nehmen, legen die es mit Absicht hier auf den Tisch.“ Anders als Zehra S. ärgert sich Selda F. vor allem darüber, daß sie nicht wie ihre deutschen Kolleginnen behandelt wird.
Wie stark jemand durch Diskriminierung verunsichert wird, hängt unter anderem davon ab, ob man ausländerfeindliche Motive lediglich bei wenigen Deutschen vermutet oder mehr oder weniger bei allen. Türken mit eher individualistischer Grundeinstellung neigen dazu, solche Motive nur einzelnen zu unterstellen. Ein traditionelles, stärker an Gruppen orientiertes Denken tendiert dagegen zu pauschalen Unterstellungen.
In jedem Falle aber können schlechte Erfahrungen durch Hilfsbereitschaft von deutschen Freunden, Bekannten oder selbst Fremden relativiert werden. Ob und in welchem Rahmen ein Opfer überhaupt Hilfe und Unterstützung erhält, hängt wesentlich von seiner sozialen Einbindung in der deutschen und türkischen Gesellschaft ab. Besonders wichtig für die Betroffenen sind die auf schlimme Opfererfahrungen folgenden Reaktionen der Polizei und Justiz. Zwar können Sprachprobleme, fehlende türkische Rechtsanwälte oder ein unsicherer aufenthaltsrechtlicher Status die Inanspruchnahme dieser Instanzen erschweren, selbst etliche sozial randständige Opfer jedoch berichteten von überaus positiven Erfahrungen.
Vor allem, wenn die Täter ebenfalls aus der türkischen Lebenswelt kamen, erschien vielen Opfern die deutsche Gesellschaft als letzte Zuflucht: „Wenn man ganz nach unten fällt“, meinte Hanife U., „dann halten die Ungläubigen einen hoch. Der Staat hält einen an der Hand. Keiner hält einen sonst fest.“ Auch Birgül D., von ihrem spielsüchtigen Mann regelmäßig mißhandelt, fand wirksame Hilfe nur bei deutschen Institutionen: „Zwei Polizisten haben mich ins Frauenhaus mitgenommen. Ich habe angefangen zu weinen. Es gibt ja auch so gute Menschen! Einer kam neben mich, nahm das Kind von meinem Schoß und streichelte mir den Rücken. Wahrscheinlich fragte er mich, warum ich weine, aber ich verstand ja kein Deutsch.“
Nicht alle Polizisten zeigen derartiges Einfühlungsvermögen. Vor allem junge türkische Männer werden oft von vornherein als Täter abgestempelt. Ahmet S. etwa berichtete von seiner Begegnung mit einem Sondereinsatzkommando, das nach einen Hehler fahndete: „Wir haben erst alle einen Schock gehabt, daß es Rechtsradikale sind, aber dann stellte ich fest, daß das Polizisten waren. Sie haben uns brutal angefaßt, geschlagen und zu Boden geworfen. Ich habe nur hochgeguckt, da habe ich einen Schlag auf den Kopf gekriegt. Da war ich erst mal bewußtlos.“ Dabei war nicht allein die polizeiliche Gewalt demütigend: „Als wir in die Polizeistation reingebracht wurden, habe ich gehört, wie eine Polizistin gesagt hat: ,Nicht noch mehr von denen: Die stinken doch alle.'“
Insgesamt, so zeigt sich, werden Türken von Polizei- und Justizbeamten offenbar am ehesten rücksichtsvoll behandelt, wenn sie auch tatsächlich schwach und hilflos, unschuldig, anständig und kooperationsbereit erscheinen. Genau das jedoch fällt jungen türkischen Männern oft überaus schwer: Stärke und die Fähigkeit, sich und die Familie vor Übergriffen zu schützen, sind zentrale Bestandteile des türkischen Männerbildes. Für einen jungen Mann gilt es als ehrlos, schwach und hilflos zu wirken. Höchstens ältere Männer können sich notfalls solche Schwächen erlauben.
Gleichzeitig hängt die Reaktion von Polizei und Justiz aber auch davon ab, ob das Opfer in das Bild eines gesetzestreuen Bürgers paßt. Wenn Polizeibeamte nämlich immer wieder mit bestimmten Tätergruppen negative Erfahrungen machen, kann schon ein ähnlicher Kleidungsstil Vorurteile wachrufen. Auch aus diesem Grund haben es junge türkische Männer oft schwer, auch als Opfer wahrgenommen zu werden.
Machen türkische Opfer mit Polizei und Justiz schlechte Erfahrungen, so verlieren viele jedes Vertrauen in diese Instanzen. Im Wiederholungsfall kann es sogar zu einer vollständigen Abgrenzung gegenüber der deutschen Gesellschaft kommen. Ob und nach wie vielen Enttäuschungen so eine Entwicklung einsetzt, hängt wiederum von der sozialen Einbindung des Opfers ab. Wer sich gegen den Widerstand der Familie für einen individualistischen Lebensstil entschieden hat, wird auch bei solchen Problemen nicht sofort in den Schoß der Gemeinschaft zurückkehren. Folgenlos bleiben entmutigende Reaktionen auf negative Erfahrungen auch dann nicht. „Früher habe ich auch gern älteren Leuten geholfen“, meint Orhan D. nach seinem Erfahrungsbericht. „Ich mach' das auch immer noch, aber man ist doch ein bißchen kalt geworden.“
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