piwik no script img

Schloßruinen unterm Hammer

Die TLG versteigert die letzten Schlösser in Ostdeutschland. Der Architekt Jochen Dreetz wurde so für 155.000 Mark zum Burgherrn. Die Sanierung wird wesentlich teurer  ■ Von Thomas Müller

Hier oben ist der Südflügel.“ Jochen Dreetz strahlt. Mit dem Finger zeichnet er die Umrisse von Burg Wendelstein auf einem Bauplan nach. „Da sind auch die Wohnungen drin, alle mit Blick aufs Tal“, schwärmt er. „Weinberge soweit man sehen kann.“ Der Architekt genießt. „Hier ist der Burggraben, hier eine kleine Kapelle und dahinter, da ist ein Obstgarten. Und das hier“, der 42jährige tippt auf den Grundriß, „das hier sind unterirdische Gänge.“ Seine Augen leuchten. Jochen Dreetz ist Schloßbesitzer. Seit drei Tagen.

Rückblende. Konferenzsaal im Hotel Palace. Hans Jürgen Plettner breitet die Arme aus. Wie ein Prediger steht der Auktionator vor seiner Gemeinde. „Einhundertfünfzigtausend Mark zum zweiten“, ruft er den fünfhundert Männern, Frauen und Kindern zu. Ehrfürchtige Stille, niemand wagt zu husten. Da hebt ein junger Mann im gelben Pullover langsam den Arm. Blitzschnell hat ihn der Auktionator bemerkt und schnappt zu. „Einhundertfünfundfünfzigtausend.“ Plettner ist Profi. „Bietet jemand mehr?“ Grabesstille. Der kleine schwarze Hammer blitzt kurz auf. „Zum dritten.“ Burg Wendelstein gehört jetzt Jürgen Dreetz, dem Mann im gelben Pullover. Jubelnd fällt er seiner Freundin um den Hals.

Und während die beiden feiern, rückt schon das Rittergut Seegrehna auf die Auktionsagenda. Mindestgebot für die Ruine: schlappe tausend Mark. Hört sich verlockend an. Doch von dem Rittergut, das nach kurzem Zweikampf für immerhin 20.000 Mark den Besitzer wechselt, ist nicht mehr viel übrig. „Insgesamt stark sanierungsbedürftig“, steht im Auktionskatalog, „zum Teil abrißreif.“ Und so steht es um die meisten der dreizehn Burgen, Schlösser und Gutshäuser, die an diesem Tag versteigert werden.

Der Glanz der alten Tage ist verblaßt, auch am Wendelstein. Zwei Millionen Mark müssen laut Gutachten in die Sanierung gesteckt werden. Jochen Dreetz schreckt das nicht. „Wir werden das preiswerter hinkriegen“, vermutet der Architekt, der selbst Baugutachten schreibt und so sein Geld verdient. Dreetz verwaltet rund zweihundert Wohnungen, deren Mieteinnahmen die roten Zahlen ausgleichen, die sein Architekturbüro in Steglitz schreibt. Und da blieb auch soviel übrig, um sich jetzt seinen Traum zu erfüllen. „Wie haben schon lange nach genau so einer Burg gesucht“, sagt Dreetz. „Nicht zu fein, kein solcher Nobelschuppen und nah bei Berlin.“ Burg Wendelstein, kurz hinter Halle in Sachsen-Anhalt, sei genau das richtige.

„Es macht einfach Spaß, mit so einer Burg zu arbeiten“, erzählt er. „Man könnte das Dach ausbauen, vielleicht eine Dachterasse einrichten.“ Auch über ein Café denkt er nach. „Außerdem wollen wir uns dort eine Wohnung mit Büro einrichten.“ Wichtig sei ihm auch, die anderen siebzehn Wohnungen in der Burg zu erhalten, von denen die meisten vermietet sind. Das sei eine „soziale Aufgabe“, der er sich als neuer Vermieter stellen will.

Der vorherige Vermieter, die Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft (TLG) ist froh, die Burg los zu sein (siehe Kasten). Denn die Wendelsteins und Seegrehnas verfallen immer mehr. Hauptsache verkaufen, heißt die Devise, an wen, ist egal. Da die meisten Käufer bisher ohnehin aus der Region kamen, begann die TLG im letzten Jahr damit, ihre Schlösser zu versteigern. Ohne Auflagen, wer zahlte, bekam das Schloß. Und das zu Tiefstpreisen, denn die Preise auf dem ostdeutsche Immobilienmarkt sind genauso verfallen wie die Schlösser.

Käufer Dreetz und Verkäufer TLG sind sich einig in ihrer Schelte gegen die Banken. Deren zurückhaltende Finanzpolitik wirke der Privatisierung in Ostdeutschland entgegen, sagt Dreetz. Denn das teure an den denkmalgeschützen Bauten ist nicht der Kauf, sondern die Sanierung. „Eine Bank zu finden, die solche Projekte finanziert, wird immer schwieriger“, sagt auch TLG-Sprecher Uwe Stemmler. Nach der Milliardenpleite des Immobilienlöwen Jürgen Schneider seien Kredite rar geworden. „Peanuts gibt es nicht mehr“, so Stemmler. Ohne Fremdkapital aber sei die Finanzierung für die meisten unmöglich.

Auf der Auktion spielt das alles keine Rolle mehr. Hier treffen sich all jene, die von Schlössern träumen, und erzählen ihre Geschichten. Der schicke Investor mit dem schwarzen Anzug, der in allem nur „Objekte“ sieht. Die junge Familie mit Baby, die ein passendes ChÛteau für eine Hausgemeinschaft sucht. Der große Grauhaarige mit dem roten Gesicht, der alles schon vorher unter den Anwesenden aufteilen will. Und dann ist da noch der Mann mit dem geheimnisvollen Blick. Der einzige in der Runde, der schon ein echtes Schloß besitzt. Behauptet er zumindest und zieht nicht ohne Stolz einen Prospekt aus der Tasche. Bunte Bilder sind da drin, von Konstanz, vom Bodensee und natürlich vom Schloß. Von seinem Schloß. „Seeheim“ heißt es, pastellgelb ist es, und alle nicken anerkennend. Etwas später erzählt der Schloßherr irgendwas von „erdgebundenen Geistern“, die in alten Häusern ihr Unwesen treiben. Der Investor nickt wieder, fragt aber vorsichtshalber noch mal nach, ob er das mit den Geistern richtig verstanden habe. Wer ein Schloß besitze, der bekäme auch die fremden Kräfte und Mächte zu spüren, die dort hausten, lautet die Antwort.

Jochen Dreetz hat davor keine Angst. Obwohl er allen Grund dazu hätte. Denn schon in der frühen Bronzezeit war der Wendelstein Opferstätte heidnischer Sachsen. Die späteren Burgen, die erste entstand um das Jahr 530, wurden mehrmals verwüstet und geplündert. Und die letzte Hinrichtung fand 1616 statt. Das läßt doch eine Menge unruhiger Geister befürchten. Aber Dreetz hat eher Probleme mit den lebendigen Bewohnern. Acht von ihnen haben nämlich seit Monaten keine Miete mehr bezahlt. „Es ist nicht so einfach mit der Mietermentalität im Osten“, sagt er vorsichtig. „Ich werde da jetzt mit meinem Wohnwagen hinfahren, werde alle Mieter darin einladen und ihnen erzählen, was ich vorhabe. Und dann höre ich ihnen zu.“ Im übrigen sei er ein „lieber Vermieter“, wie er mehrmals betont. Vor die Tür setze er niemanden so schnell. Und schon gar nicht vors Burgtor.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen