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Radikal kompromißbereit

■ Vor der heutigen Koalitionsrunde über ein Bündnis für Arbeit wissen die Grünen nicht so recht, womit sie beim Regierungspartner rechnen müssen. Die Rücknahme der Reformen stößt in der SPD nicht auf ungeteilte Zustimmung

Er hat sich nicht in die aktuelle Debatte zum Bündnis für Arbeit eingeschaltet. Er hat nur ein für einen Sozialdemokraten erstaunliches, kontrovers aufgenommenes Buch geschrieben: über den Abschied vom alten Sozialstaat, befristete Arbeitsverträge, eine radikale Rentenreform, private Altersvorsorge und Subventionsabbau. Er, das ist Bodo Hombach, der künftige Kanzleramtsminister von Gerhard Schröder. Und weil beim Bündnis für Arbeit alles mit allem zusammenhängt, wissen die Bündnisgrünen vor der heutigen Koalitionsverhandlung über das Bündnis für Arbeit nicht mehr, womit sie bei der SPD zu rechnen haben.

„Die Situation bei der SPD ist undurchsichtig“, heißt es. Es komme darauf an, welche Strömung sich durchsetze. Ist Hombach allein also schon eine Strömung, oder stimmt es, was manche bei den Grünen und bei der SPD vermuten, daß er der „Minenhund“ Schröders sei.

Es ist nicht so sehr, was Hombach konkret sagt, eher was seine Ausführungen vermuten lassen. Hombach will eine radikale Rentenreform, also weg von dem allein beitragsfinanzierten Rentensystem, und statt dessen eine „Garantierente“ mit 70 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns. Wäre dann nicht die Rücknahme der Rentenreform entbehrlich? Beim Bündnis für Arbeit spielt die Rente insofern eine Rolle, als die SPD die Rentenreform rückgängig machen will, die Arbeitgeberseite aber darauf beharrt, sich in diesem Fall einem Bündnis für Arbeit zu verweigern.

Überhaupt scheint einiges von dem, was Hombach sagt, den Unternehmen entgegenzukommen. Arbeitslosigkeit werde durch das gegenwärtige Sozialsystem eher verlängert als verkürzt. „Zur Politik der Verteilung führt kein Weg zurück.“ Also vielleicht doch nicht die Wiedereinführung der Vermögenssteuer? Außerdem fordert Hombach einen „Befreiungsschlag in der Steuerpolitik“. Könnte er damit nicht die drastische Senkung des Spitzensteuersatzes meinen?

Für das Bündnis für Arbeit könnten diese Gesichtspunkte wichtig werden. DGB-Chef Dieter Schulte hat bereits angekündigt, daß eine Steuerreform wahrscheinlich Einfluß auf die Lohnforderungen der Gewerkschaften hat. Und könnten sich nicht auch die Unternehmer kompromißbereiter zeigen, wenn ihnen die Regierung bei der Steuerreform entgegenkommt?

Ist Bodo Hombach also die Wunderwaffe der SPD, um neue Verhandlungswege zwischen SPD und Gewerkschaften einerseits und Arbeitgebern andererseits aufzuzeigen? Hombach selbst natürlich nicht, aber der künftige Kanzleramtsminister steht für Kompromißlinien, die beim Bündnis für Arbeit möglicherweise erforderlich sind. Wenn es nämlich nach den offiziellen Verlautbarungen der künftigen Verhandlungspartner ginge, bräuchten sich Regierung, Gewerkschaften und Unternehmer gar nicht erst an einen Tisch zu setzen. Knackpunkt sind die Reformen der alten Regierung bei Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung und Rente. „Die Rücknahme der Reformen steht bei den Verhandlungen vor der Klammer“, sagt SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping. Und DGB-Chef Dieter Schulte meint, die SPD würde ihre Ansprüche auf Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie die Reformen nicht zurückdrehe. Die Arbeitgeber pochen dagegen darauf, daß die Reformen nicht angetastet werden. Allerdings sind sie bereits von ihrer harten Linie abgewichen, die Gespräche andernfalls zu blockieren. Der Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Tyll Necker, hat die Unternehmensverbände aufgefordert, in jedem Fall an den Verhandlungen teilzunehmen. Und war es nicht ein eindeutiges Signal, daß BDI-Chef Hans- Olaf Henkel am Wahlabend auf Schröders Siegesparty erschien, um zu gratulieren?

Inhaltlich sind die Positionen gar nicht so unvereinbar. Allerdings spielen eben auch andere Gesichtspunkte eine Rolle, wie etwa die Angst, das Gesicht zu verlieren. So halten etwa die Arbeitgeberverbände die von der alten Regierung durchgesetzte Änderung des Kündigungsschutzes für entbehrlich. Laut Aussagen des Handwerkes soll die Reform zwar 50.000 neue Arbeitsplätze ermöglicht haben, aber wer weiß das schon genau, und außerdem hat man sich mehrere 100.000 neue Arbeitsplätze erhofft.

Müßte sich nur noch die SPD bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bewegen. In Hintergrundgesprächen sagen selbst Gewerkschafter, daß die Rücknahme der Reform bei der Lohnfortzahlung nicht unproblematisch sei, weil es dann unterschiedliche Begünstigte gebe. Schließlich hat sich die Mehrzahl der Arbeitnehmer die Beibehaltung der hundertprozentigen Lohnfortzahlung durch Verzicht bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld erkauft. Von der Rücknahme der Reform würden daher nur diejenigen profitieren, die zwar zur Zeit mit 80 Prozent Lohnfortzahlung abgespeist werden, aber sonst keine Abstriche machen mußten. Auch von Schröder ist bekannt, daß er nicht unbedingt hinter der Rücknahme der Reform steht. Aber vielleicht findet die neue Regierung einen anderen Dreh, um die Arbeitgeberverbände zu einer Einigung zu bewegen. Ende 1999 läuft das Beschäftigungsförderungsgesetz aus, das befristete Arbeitsverhältnisse ermöglicht – woran den Unternehmen gelegen ist. Die SPD könnte die Ausgestaltung des neuen Gesetzes vom Entgegenkommen der Arbeitgeber abhängig machen.

Aber auch ohne Einigung mit den Arbeitgebern könnten sich SPD und Grüne auf umfassende Maßnahmen für mehr Beschäftigung einigen. So wollen die Grünen die Teilzeitarbeit fördern, indem Teilzeitarbeit bei der Rentenberechnung aufgewertet wird und arbeitlos gewordene Teilzeitarbeiter Anspruch auf volles Arbeitslosengeld bekommen. Bleibt allerdings das Problem: Gibt es dafür genug Geld? Markus Franz, Bonn

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