Unbekümmert schwul

„Lebensgeschichten“ im Schwulen Museum: Eine Ausstellung über den Kunsthistoriker Christian Adolf Isermeyer  ■ Von Axel Schock

Ganz schlicht „Lebensgeschichten“ ist eine Ausstellungsreihe im Schwulen Museum übertitelt, deren vierter Teil derzeit in den Räumen dieses bislang einzigartigen Museums in Europa zu sehen ist. Das Konzept des Historikers Andreas Sternweiler, Biographien schwuler Zeitgenossen anhand von Fotos, Dokumenten und anderen Exponaten aus deren Leben aufzublättern, ist wohl am besten als „Oral history“ zu bezeichnen. Der Tattoo-Fetischist und Filmarchitekt Albrecht Becker (Jahrgang 1906) machte 1993 den Anfang. Es folgten der Pfadfinderführer und ehemalige KZ-Häftling Heinz Dörner (Jahrgang 1912) sowie der kürzlich verstorbene Germanist und Exilant Richard Plant (Jahrgang 1910).

So unterschiedlich diese Biographien auch verlaufen sind, die Bedrohung durch das NS-Regime hat ihr Leben maßgeblich bestimmt. Der heute in Hamburg lebende Christian Adolf Isermeyer hingegen scheint wie ein Glückskind durch die wirren Jahre gegangen zu sein, wie er überhaupt sein Leben ganz nach seinen Bedürfnissen ausrichten konnte.

1908 in Goslar als Sohn einer großbürgerlichen Familie geboren, war es ihn finanziell möglich, seine Ausbildung und seinen Beruf nach seinen Neigungen hin auszurichten. Bis 1933 studierte er in Montpellier, Göttingen und München Kunstgeschichte. Nach Abschluß seiner Dissertation zog er nach Berlin und arbeitete für kurze Zeit in der Skulpturensammlung und im Kupferstichkabinett. Sein Schwulsein schien ihm nie ein Problem, selbst während des Krieges und in der Gefangenschaft hatte er zahlreiche Verhältnisse und Liebschaften. Mehr oder weniger offen schwul zu leben war für ihn auch als emeritierter Professor für Kunstgeschichte selbstverständlich – wohlgemerkt bereits anfangs der 60er Jahre, als der Schwulenparagraph 175 noch lange nicht reformiert war. 1961 war Isermeyer übrigens federführend an einer Petition an den Deutschen Bundestag zur Abschaffung dieses Paragraphen beteiligt.

Isermeyer hatte bereits während seines Studium die klassische Moderne für sich entdeckt und interessierte sich verstärkt für die zeitgenössische Kunst. Bald war er mit zahlreichen Kunsthändlern, Kunsthistorikern und Künstlern eng befreundet. Eine besondere Rolle spielte dabei der Bildhauer Hermann Blumenthal. Dieser hatte in der legendären Ateliergemeinschaft Klosterstraße, an der u.a. auch Käthe Kollwitz beteiligt war, einen Arbeitsraum. Dort lernte er auch die beiden ebenfalls schwulen Künstler Werner Heldt und Werner Gilles kennen, die ihm lebenslange Freunde wurden. Nach dem Tod des Ehepaares Blumenthal kümmerte sich Isermeyer nicht nur um den Nachlaß, sondern übernahm auch die Pflegschaft für die Kinder und organisierte 1947 im Haus am Waldsee die erste Retrospektive des Werkes Hermann Blumenthals.

Rechtzeitig bevor die Nazis ihre Jagd auf Schwule eröffneten, erhielt Isermeyer ein Forschungsstipendium in Italien. In Florenz und Rom konnte er seine Forschungen zur italienischen Kunst wie auch sein unbekümmertes, offenes schwules Leben fortsetzen und dem drohenden Terror entgehen. 1937 kehrte er zurück nach Berlin und arbeitete bis Kriegsbeginn an der Nationalgalerie. Als einfacher Soldat kam er nach Frankreich, später wurde er als Dolmetscher in Nordafrika eingesetzt. Selbst hier lebte er seine Neigungen aus, ohne wirklich behelligt zu werden. Einmal nur, im September 1933, war Isermeyer wirklich in Gefahr. Die Gestapo lud ihn zu einem Verhör in die Prinz-Albrecht-Straße. Der Grund: Einer seiner Liebhaber hatte auch Beziehungen zu SA- Funktionären. Die Untersuchung wurde von höhere Stelle offensichtlich stillschweigend niedergeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt war dies möglich.

Erst mit dem angeblichen Putsch des schwulen SA-Führers Ernst Röhm begann die organisierte Verfolgung aller Homosexuellen im Deutschen Reich. Opfer dieses Terrors wurde u.a. Isermeyers ehemaliger Internatsfreund, der Künstler Kulu Nielsen. Isermeyer förderte seine Karriere und besorgte ihm ein Atelier in Berlin und Aufträge als Illustrator. Nielsen, der schließlich als technischer Zeichner für die Luftwaffe arbeitete, wurde eines Tages von einem Liebhaber erpreßt. Aus Angst vor der Folter durch die Gestapo nahm er sich 1938 das Leben. Nielsens schmales künstlerisches Werk ist weitgehend verschollen. Nur wenige Arbeiten hat Isermeyer retten können. Einige kesse Federzeichnungen junger Männer sind nun neben anderen künstlerischen Arbeiten u.a. von Blumenthal und Bernhard Heiligers Teil der Ausstellung.

Bis 3. Januar, Schwules Museum, Mehringdamm 61, mi–so 14–18 Uhr. Das Begleitbuch „Liebe, Forschung, Lehre: Der Kunsthistoriker Christian Adolf Isermeyer“, hrsg. von Andreas Sternweiler, ist im Verlag rosa Winkel erschienen. (143 S., 34 DM)