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Die Fassade als lebendige Kulisse

In der Berliner Auguststraße ist aus der maroden Fassade eines ehemals besetzten Hauses eine vertikale Bühne für Theater und Performances geworden. Und ein Ort des Widerspruchs inmitten der Kunstmeile Berlin-Mitte  ■ Von Uwe Rada

„Weg mit...!“, „Make love not...“, „...sind Schweine!“ – Von den ersten Herbststürmen mitgenommen, flattern die Transparente an der bröseligen Altbaufassade. Manche der Parolenfetzen sind mit anderen bereits ungewöhnliche Bedeutungskoalitionen eingegangen, einige wenige hängen allein herum. Oppositionsschicksal in der Auguststraße 10 in Berlin-Mitte. „Selbstironie“ nennt Stefan Vens das Parolenpuzzle am ehemals besetzten Haus- und Kulturtprojekt „KuLe“. Vor allem aber sei es der Versuch, sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, als Künstler in Berlins Kunstmeile Auguststraße zu leben und zu arbeiten und mit dieser gleichzeitig nichts am Hut zu haben.

„Der Kampf geht...“ Wo der Filmemacher Günter Jordan noch Anfang der neunziger Jahre den chaotischen Charme von verfallener Bausubstanz, gewachsenen Milieus und erwachender Kiezkultur einzufangen suchte, herrscht heute der Trubel eines Touristen- und Künstlerquartiers. Das Chaos rund um die Augusstraße in Mitte ist dem durch Galerienmeile und Schickeria gebändigten Normalzustand gewichen. Nur die Auguststraße 10, ein fünfstöckiger Altbau nahe dem Kunsthaus Tacheles, scheint mit ihren Transparentfetzen und der unfertigen Fassade dem Trend zum „Erlebnisraum“ zu trotzen. Wäre da nicht die Stahlkonstruktion, diese, wie es Stefan Vens nennt, „in die Vertikale gekippte Bühne“. Theater auf der Fassade, Performances beim Abseilen, Einpersonenstücke im Tragkorb – wo hört der Raum für Selbstironie auf, und wo beginnt der Ernst?

„Nieder mit...!“ Zwei Fabelwesen in wallenden Gewändern schieben sich in die Lichtkegel. Sie schlagen mit den Flügeln, drehen sich um die eigene Achse. „Motten im Licht“ heißt die Performance, bei der sich zwei Freiluftakrobaten tanzend an der Fassade der Auguststraße abseilen. Das Zusammenspiel zwischen „Körper und Stein“ wollen Halka Tresnakova und David Maj, zwei Künstler aus Prag, an diesem Abend verdeutlichen. Ein selbst für Berliner Verhältnisse ungewöhnliches Ereignis. Die Künstler, die sich in ihrer von wallenden Gewändern nur unzureichend verhüllten Nacktheit normalerweise innerhalb der steinernen Mauern bewegen würden, haben das Verhältnis von privat und öffentlich umgekehrt. Die Fassade ist an diesem Abend nicht die Grenze zwischen den eigenen vier Wänden und dem öffentlichen Raum der Straße. Die vertikale Bühne der Augusstraße 10 bietet vielmehr die steinene Kulisse für die fürs Publikum inszenierte Intimität der privaten Existenz.

„...und nicht vergessen.“ Die Idee mit der Fassade als Bühne bestand eigentlich schon seit der Besetzung des Hauses“, erinnert sich Ursula Berzborn. Die Auguststraße 10 wurde im Frühsommer 1990 besetzt, und schon damals ließen die BesetzerInnen zwei Puppen aus Pappmaché vor ihren Fenstern tanzen. Was in der Anarchie der damaligen Bewegung noch den Charme der künstlerischen Spontanvegetation atmete, ist heute baupolizeilich abgenommen. „In den Tragekorb darf nur eine Person rein“, weiß Ursula Berzborn, „und auch die Seilwinde darf nur zum Lastenaufzug benutzt werden.“ Wollen die Schauspieler die Fassade bespielen, müssen sie sich entweder abseilen oder aber in Bergsteigerausrüstung nach oben klettern. Eine senkrechte Bühne bietet eben ganz andere Hürden als eine waagerechte.

Vor allem aber mehr Möglichkeiten. Fensterkonzerte oder an Seilen pendelnde Hausfrauen im Putzfummel, die die Fassade im Sinne einer sauberen Hauptstadt besenrein kehren, sind nur einige Beispiele. Und selbst das halbrunde Oberlicht über der Eingangstür haben die KünstlerInnen als Spielort entdeckt. „Catwalk“ heißt ein Programm, bei dem der Videofilmer Pepe Baumgärtner das Innenleben des Hauses und seiner Personen ausleuchtet und in Echtzeit auf die Rückseite des Oberlichts projiziert.

„Make love not...“ – „Uns geht es nicht um den Sensationshunger des Kulturbetriebs“, sagt Stefan Vens, „sondern darum, die Trennung von privater Existenz und öffentlicher Arbeit aufzuheben.“ In der Tat hat die Videoinstallation „Catwalk“ nichts gemein mit dem gepiercten Exhibitionismus, mit dem die kultige Mitte-Szene rund um den Hackeschen Markt ihr Intimstes zur Schau stellt. Wenn die Bewohner der KuLe Einblick in ihr Innenleben bieten, wollen sie die vielfältigen Schichten, Gelungenes und Widersprüchliches im kollektiven Leben und Arbeiten öffentlich machen.

„Friede den...“ Im ersten Stock Rotlicht. Ärsche hinter den Fenstern, Männer- und Frauenärsche in Tangas und Rotlicht. „Am Anfang haten wir gedacht, daß die Bullen kommen“, kommentiert Ursula Berzborn diese Fassadeninstallation à la Amsterdam. Gekommen sind aber nur einige Freier. „Wir haben sie natürlich ins Haus gelassen“, grinst Berzborn. „Schließlich waren wir gespannt auf die Situation und die Gespräche, die sich daraus entwickeln.“ Die Situation, das ist für Berzborn Prostitution im weiteren Sinne. „Das betrifft eben auch die Art und Weise, wie sich hier andere verkaufen, nicht nur die Huren.“ Die anderen, das sind auch die anderen Künstler. Doch eindeutige Schuldzuweisungen sind die Sache der KuLe-Künstler nicht. Zur „Selbstironie“ als künstlerischem Konzept gehört der Sinn für Widersprüche, auch die eigenen. Um den Passanten in der Auguststraße den Spagat, den KuLe im Alltag und künstlerisch zu bewältigen hat, deutlich zu machen, haben die Bewohner deshalb eine Tafel auf die Straße gestellt. Selbstkritisch informieren die Kiezkünstler darüber, daß sie wohl selbst mit ihrer Besetzung einen Teil dazu beigetragen haben, daß die Auguststraße heute im Sinne einer erlebnishungrigen Mittelschicht aufgewertet wurde.

„...geht weiter!“ Soviel Widerspruch kommt an in der Spandauer Vorstadt, die an oppositionellen Gesten oft nicht viel mehr zu bieten hat als ein auf den Nachbarstuhl gelegtes Bein im Nobelrestaurant um die Ecke. Das müssen sich auch der Kunstprofessor Jonas Geist, die Jüdische Gemeinde und zahlreiche Prominente aus Kultur und Politik gedacht haben, als sie die KuLe im letzten Winter in ihrer bis dato heftigsten Auseinandersetzung unterstützt haben. Kontrahent war diesmal nicht der Berliner Kultursenator oder die Schicki-Szene der benachbarten KunstWerke in der Auguststraße 69, sondern die bezirkliche Denkmalpflegerin. Die wollte nämich partout nicht einsehen, weshalb die KuLe-Künstler für ihre bespielbare Fassade einen mehr als einen Meter in die Straße hineinragenden Stahlträger brauchen. Nicht weniger stur waren die Bewohner der Auguststraße, die zum Kälteeinbruch ihr Dach fertigstellen wollten und deshalb schon mal ohne Genehmigung loslegten – Stahlträger inklusive. Nur der Intervention der Prominenz war es zu verdanken, daß die selbstherrlichen Selbsthelfer ihre Konstruktion nicht wieder abreißen mußten. Zumindest nicht sofort. Denn beim Auszug, erklärt Ursula Berzborn, müssen wir alles in den ursprünglichen Zustand bringen.

„...raus!“ Das betrifft nicht nur die Kletterkonstruktion, sondern auch die Fassade, die trotz abgeschlossener Sanierung an manchen Stellen noch immer so aussieht wie in den letzten Kriegstagen. „Ruinöse Sanierung“ nennt KuLe-Bewohner Stefan Vens dieses „Prinzip der Dreigliederung“. Soll heißen, im Sockelbereich wurde restauriert, in den mittleren Geschossen konserviert und das nach dem Krieg aufgemauerte fünfte Geschoß hinter einer Wellblechfassade versteckt. „Durch den bewußten Verzicht auf die vollständige Wiederherstellung der Fassade“, schreiben die KünstlerInnen in einer Selbstdarstellung, „wird das Haus zu einem prägnanten und verstörenden Blickfang.“

„Her mit...!“ Und, ob es die KuLe- Macherinnen wollen oder nicht, zu einem kulturellen Ereignis. Während der Eröffnung der Berlin- Biennale rund um den Tag der deutschen Einheit war der Auguststraße 10 jedenfalls die Aufmerksamkeit der Kunstschickeria sicher. Was aber, wenn deren Eroberungszug in der Spandauer Vorstadt auch vor der Auguststraße 10 nicht haltmacht, wenn plötzlich die Verlockung des Geldes vor der Haustür steht? Ursula Berzborn verweist lachend auf die größte bürokratische Hürde, mit denen ein kollektives Projekt aufwarten kann: „Jeder, der unsere Fassade bespielen will, muß erst mal das Ja unseres Plenums bekommen.“ Und er muß etwas mit dem Haus zu tun haben. „Schließlich besteht der Backstage-Bereich aus unseren Zimmern, durch die jeder muß, der draußen installiert.“

„Weg mit...“ Nach der Performance über „Körper und Stein“ geht das Licht aus. Draußen ist es bitter kalt. Halka Tresnakova und David Maj huschen wieder ins Haus. Für die beiden Prager ist die Auguststraße 10 längst mehr als eine Bühne. In der KuLe sind sie Künstler, Freunde, Nachbarn, WG-Mitglieder. Und, wenn sie nicht selbst gerade spielen, Zuschauer. Als sich der Aufführungsabend dem Ende zuneigt, hat sogar die Computerheldin Lara Croft ihren ersten Auftritt auf einer Fassade. In einer wilden Verfolgungsjagd flieht sie durch Fenster auf Seile, läßt sich mit dem Tragekorb hochziehen, klettert um ihr virtuelles Leben – um am Ende, als Puppe, vom Dach auf die Straße zu fallen. Auch auf der vertikalen Bühne ist eben alles nur Theater.

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