: "Ich male alles und rede mit jedem"
■ Gibt es ein linkes Bewußtsein, wenn man heute abstrakt malt? Ein Gespräch über Lebensläufe, künstlerische Praxis in Zeiten von Theorie und den Zwang zur Dissidenz mit dem Hamburger Maler und Otto-Dix-Pr
taz: Sie sind 1982 nach Hamburg gekommen. Welche Orte spielten da eine entscheidende Rolle?
Daniel Richter: Für den Zivildienst waren es die Arbeiterbezirke Billstedt und Horn, als Punk bin ich in die Marktstuben, ins Totenschiff oder die Markthalle gegangen.
Gab es damals schon Kontakt zu Kunst-Strategen wie Diedrich Diederichsen, Werner Büttner und den beiden Oehlen-Brüdern?
Nein, aber deren Ansätze konnte ich nachvollziehen, die bezogen sich auf Allgemeines, Gesellschaftliches. Habituell war das natürlich eine andere Klasse – trotzdem hat man deren Code verstanden, es hat einen irritiert. Deshalb bin ich im Studium bei Büttner gelandet, weil er der einzige Künstler war, den ich kannte. Klar, Monet, Picasso, Giotto haben mich schon interessiert. Pettibon kannte ich über Black-Flag-Cover und Kopiehefte, aber den hätte ich damals nie als Künstler betrachtet.
1992 entstanden die Initiativen der Wohlfahrtsausschüsse. Wie war da die Verbindung?
Der Wohlfahrtsausschuß war schon die Hoffnung, einen radikalen Schulterschluß herzustellen mit dem, was man den Osten nannte, weil es so gut wie gar keine Kontakte gegeben hat. Aber eigentlich ist zuwenig passiert, um darüber zu reden.
Einerseits veröffentlichen Sie Zeichnungen in „Beute“, „Spex“ oder „Texte zur Kunst“. Gleichzeitig arbeiten Sie mit abstrakter Malerei, die vom selben Umfeld als bürgerlich angesehen wird.
Was ist kulturelle Produktion? Doch nichts als der Versuch, sich über die Welt klarzuwerden, und das geschieht mit meiner Malerei auch. Klar sein sollte ebenfalls, daß die Rede von der Bürgerlichkeit eines Mediums eine historische bzw. soziale und keine immanente ist. Ich glaube, daß man bei mir sieht, daß meine Bilder – ich will nicht sagen modern sind –, aber versuchen, den veränderten Bedingungen von Kultur und Wahrnehmung Rechnung zu tragen: Für Personendarstellungen sind eben Fotografie und Film besser geeignet. Ich will die Möglichkeit des Mediums mit allen Schwächen, Indifferenzen und historischen Überfrachtungen nutzen. Selbstverständlich möchte ich auch die Kontextualität des Bildes nicht leugnen – obwohl ich glaube, daß jedes gemalte Bild das zu einem gewissen Grad auch muß, da es immer einer Historie verpflichtet ist, der zu entkommen ihm nicht gegönnt ist.
Wie war das beim Katalog „17 Jahre Nasenbluten“, der anläßlich der Ausstellung bei Contemporary Fine Arts 1997 erschienen ist – da werden Kriegsbilder neben abstrakter Malerei benutzt?
Grob gesagt ist das nur ein Verweis. Es gibt etwas jenseits der Malerei, was aber auch Einfluß auf diese Malerei hat. Das Kriegsbild ist individualhistorisch, die Bombardierung Kiels. Parallel verlaufen in Amerika die Anfänge der modernen Malerei und die der Vorstellung von Individuum und Freiheit, die wir heute haben.
Sie waren Assistent von Albert Oehlen. Haben Sie diese Stellung zu einem anderen Künstler mitthematisiert?
Ich hab' da in erster Linie Geld verdient, Bilder gemalt, und wir haben viel geredet. Da muß man nix mitthematisieren.
Aber es gibt doch auch produktive Mißverständnisse?
Die ganze Kunst ist produktives Mißverständnis. Auch Jackson Pollock hat C.G. Jung nicht verstanden. Er hat trotzdem angefangen zu malen wie eine wilde Sau und dabei gedacht: So komme ich dem Unbewußten nahe. Die Idee war idiotisch, aber das Ergebnis war gut. Man muß das Mißverständnis nutzen. Die Malerei ist nie ohne den Dialog mit Theorie entstanden, heute scheint aber sehr viel Kunst mit der Behauptung hausieren zu gehen, daß sie „Auseinandersetzung“ sei. Klassisch ziehen Auseinandersetzungen aber Ergebnisse nach sich, die über das Transformieren von einem Medium in ein anderes hinausgehen. Heute weiß doch jeder mehr über Fotografie, Warenfetisch, Innovationshorror und Pop Bescheid, als daß man diesen Phänomenen mit einfachem Abmalen irgendeinen neuen Aspekt zufügt.
Nun kommen Sie dennoch aus einer Szene, wo die Arbeitsbedingungen immer wieder reflektiert werden. Der „linke Untergrund“ wurde selbst bei der Verleihung des Otto-Dix-Preises in Gera diesen Sommer erwähnt.
Nicht, daß ich mich nicht als Linker bezeichne – aber was hat das mit meinen Bildern zu tun? Ich bin doch nicht Maler, damit die Leute über Biographisches reden; das ist aber wohl auch ein Zeichen für den allgemeinen Trend zur Yellow press, auch in der kritischen Kunstwelt. Sicherlich muß der gesellschaftliche Kontext der Produktion von Kunst thematisiert werden. Vor allem aber sollte die Überwindung der Hierarchien in der Kommunikation das Ziel sein. Ich bin hauptsächlich mit dem Malen beschäftigt und weniger mit den Allüren der diversen Hipster- Clans. Oder um es mal ganz stumpf zu sagen: Ich rede mit jedem.
Schlimmer als die verinnerlichte Konkurrenz im Kunstbetrieb erscheint mir, daß es keinen „Sprachgebrauch“ in der bildenden Kunst gibt.
Das ist das größte Manko, deshalb wird wohl oft auf meine Biographie zurückgegriffen. Die Gesellschaft analysiert Bilder nicht, sie geht mit Bildern auf sehr manipulative Weise selbstverständlich um. Beim Hören ist das anders, du triffst in der Kneipe Leute, mit denen du über Musik reden kannst. Da werden Idioten zu Fachleuten, die hochgradig abstrahieren können, die die Leistung des individuellen Musikers mit seinem Willen und seinen technischen Fähigkeiten abgleichen können. Das gibt es in der Malerei nicht. Während gesellschaftlich alles immer mehr über Images und enthistorisierende Kontexte funktioniert, geht es in der offiziellen, pragmatischen Diskussion immer nur um die technokratische Verbesserung von Tempo, Beschleunigung etc., was ich in meiner Arbeit ja auch reflektiere. Aber das Mißverhältnis der Menge an Informationen zur Informiertheit ist paradox. Interview: Christoph Bannat
„Daniel Richter: Organisierte Kriminalität“, bis 28. 11., Contemporary Fine Arts, Sophienstraße 21
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